Stimmen, die durch Stille fliegen
Rolf Birkholz
Die Kindheit auf dem Land, im Münsterland, schimmert immer wieder durch. "Immer noch / spüre ich das / Maß der Dinge / in meinen Händen // Ein Fuder Heu / ein Scheffel Korn / kannenweise / verkaufte Milch // Was wäre / wenn ich mehr / genommen / hätte als eine // Messerspitze vom Himmel?" Mit diesem Gedicht, "Ein Quäntchen", eröffnet Eline Menkes neuer, zweiter Gedichtband Nichts ist immer still. Umso mehr spricht zu ihr und sie zu uns, aber leise.
Im ersten der drei Kapitel hallen viele der Kindheitserfahrungen wider, die der 1956 geborenen Journalistin und Autorin später die poetische Sprache formten. "Irgendwie hing ich an der DNA / unter meinen Fingernägeln / Komplizen schwarzer Erde, / die nicht von mir / abließen", weist ein anderes Gedicht auf dieser Art von Bodenhaftung.
Die ermöglicht es aber umso mehr, sich gedanklich aufzuschwingen: "Kühe streifen durch meine Träume, aus / ihren Augen scheint der Mond. Ihre Milch / ist meine Straße zum Himmel", lassen "Heunächte" das lyrische Ich erleben, das bald richtig erwacht: "Als ich lange genug Kind gewesen war, / bestrich ich die Worte nicht mehr mit Rübenkraut, / war anfällig für seltene Silben" ("Verwandte Tage").
Daraus wurde gleichwohl keine experimentelle Lyrik. "Ich nähre Worte, / die mir über den Kopf wachsen, / größer werden als Kindertage", hebt die Dichterin ganz überwiegend vertraute Wörter in ihre Verslandschaften, bettet sie aber auf eigene Art ein zwischen Nacht und Licht, den Jahreszeiten, Tag und Traum und Traum am Tag, verbindet sie neu ohne jede Effekthascherei, ganz leicht.
Sie weiß, dass im "Vers ohne Boden" die Sätze davonfließen. Es gehen auch "Worte verloren", es werden Sätze versteckt / in den Nischen // der Nacht". Dann aber: "Nur deinetwegen versteckt sich der Mond, / damit ich neue Sichtweisen suche, / meine Augen schule // in der Nacktheit der Nacht das Sehen / wiederfinde in Worten". Augen, die an anderer Stelle zu "Ministranten / der Nacht" werden.
Die Schreiberin findet einnehmende Bilder für ihr Tun. Sie möchte "Gedanken zwischen Worten reiben", so lange, "bis ein Duft entsteht". Und: "Kein noch so kleiner Wald hält mich vom Hochsitz ab". Denn: "Hier finde ich, was der Wind zu suchen scheint, / Stimmen die durch Stille fliegen." Sie werden zu Eline Menkes Gedichten. Jene "Messerspitze vom Himmel" war gar nicht so wenig und ist für ihre dichterische Arbeit das passende, sehr wirksame Quäntchen. |