Am Erker 88

Philipp Kampa: Stadt, Name, Land

 
Rezensionen

Philipp Kampa: Stadt, Name, Land
 

Die Linie dieser Landschaft
Rolf Birkholz

Wir wollten den Band schon aus der Hand legen: Ohne mittleres Mathematik-Diplom würde man bei der Lektüre wohl nicht weit kommen. So der Eindruck nach den ersten Gedichten, in denen es um die Anzahl der Buchstaben eines Wortes geht, darum, ob eine Zahl durch elf teilbar sei, um Wechselsumme und Subtrahend, um Zeilenneubildung durch Zahlenspielerei. Abzählverse der anderen Art. Man blätterte natürlich trotzdem weiter, mehr und mehr hinein in Stadt, Name, Land von Philipp Kampa, bis man doch recht eingenommen war von der eigenartigen Atmosphäre dieser Gedichtlandschaften.
Der Autor stellt je zwei Gedichte einander gegenüber. Sie tragen dieselbe Überschrift und sind auch inhaltlich mehr oder weniger verwandt. Inwiefern sie in ihrer Aussage identisch sind, bleibt zu erwägen. Mal wird reduziert ( von "Diese Landschaft gerät ins Straucheln, / vor meinem Blick" zu "Landstraucheln. / Blickstraucheln"), mal wird verändert oder erläutert, wird etwa "Durch die Landschaft streichen" zu "Durch den Dunst fährt der Bus, langsam". Oder eine Beobachtung wird gedreht von "Ich umgehe mich, / im Einvernehmen mit diesem Tag" zu "Dieser Tag umgeht mich. / Dieser Tag nimmt mich ein."
Hier klingt an, dass sich das poetische Ich der Dichtung Kampas immer wieder in unterschiedlichen Stellungen in und zu diesen Landschaften befindet und verhält, Gegenden, die durch wiederkehrende Örtlichkeiten und Begriffe wie eben Landschaft selbst sowie Furche, Hügel, Wolke, Gewoge bezeichnet sind. In "Sengender Tag" heißt es in einer Subjekt-Objekt-Umkehr "ich seh' mich eingehen, in diese Landschaft" und gegenüber: "die Landschaft sieht mich".
Zwischen seine Wortlandschaften fügt der 1987 geborene, in Halle (Saale) lebende Philipp Kampa eigene, gezielt unscharfe schwarz-weiße Landschaftsfotos, die anregen, aber seinen auf eigene Art Land schaffenden  Versen genug Spielraum lassen. "Auch danach ist mir: / Mich überholen, im Nach-mir-Sein", sagt das Ich in und unter den "Wolkenverrenkungen" dieses auch mit einem stimmigen Einband versehenen Buches. An anderer Stelle: "Den Furchen folge ich ( wie gewohnt, / wie gehabt)." Und gegenüber: "Ich bin mir gefolgt, und sonst niemandem."
Und wir ihm durch diese Landschaften, vielleicht unterkomplex in der Wahrnehmung, obwohl wir erstmals sogar nach Anleitung einen Zollstock auf ein Gedicht legten (S. 51). Aber es war richtig, den Band, in dem ein Rezensent auch Methoden aus der Werkstatt für potenzielle Literatur (Oulipo) angewandt sah, nicht vorschnell beiseitegelegt zu haben. Warum die Gedichte den Seitenzahlen im Inhaltsverzeichnis jeweils zwei Seiten voraus sind, hat sich zwar nicht ganz erschlossen. Aber dass die Anzahl der Textpaare (55) glatt durch elf teilbar ist, was auch bedeutet, dass sie eben paarweise zu lesen sind, wurde zur Kenntnis genommen. Bei aller Zahlenpoesie bietet Stadt, Name, Land eine lohnende  Lektüre. "Von der Linie, die diese Landschaft zieht", ist einmal zu lesen, "lässt sich zehren." Genau.

 

Philipp Kampa: Stadt, Name, Land. Gedichte. 144 Seiten. Ludwig. Kiel 2024. € 14,90.