Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben?
Gerrit Althüser
Im Jahr 2003 kam Frank Schäfers Sohn Oscar auf die Welt, deutlich zu früh allerdings, ob er überlebt, war lange nicht klar. Von diesen Wochen zwischen Hoffnung und Angst, Liebe und Sorge erzählt der Autor nun mehr als zwei Jahrzehnte später. Grundlage sind unter anderem Tagebuchnotizen aus der damaligen Zeit. Einige Gespräche werden dennoch basierend auf der Erinnerung nachgedichtet worden sein, die Bezeichnung als "Roman" deutet eine gewisse Fiktionalisierung bereits an. Ausgehend von diesen Ereignissen reflektiert Schäfer auch die eigene Geburt, die Frage, warum er Vater wurde, sinniert über die Sprache der Medizin ebenso wie über die eigene oder setzt sich mit Francis Bacons Gedanken zur Elternschaft auseinander. Auch andere Schicksale werden einbezogen, etwa eine andere Familie, deren Kind es nicht schafft, oder Pflegekräfte, die sich gemeinsam betrinken, nachdem sie ein Kind verloren haben. Dadurch ist ein zugleich gedankenanregendes und berührendes Buch entstanden.
Vor allem beim Lesen der Beschreibung des Kaiserschnitts sowie der ersten Tage danach überträgt sich das Gefühl der Anspannung und Besorgnis, was auch am sehr reduzierten und zugleich unmittelbaren Schreibstil liegt. Auffällig ist, dass hier im Präsens erzählt wird. Die Welt ist eine Scheibe (2001) hingegen hat Schäfer im Präteritum gehalten, dabei ist das Präsens im Poproman doch fast der Standard. Dafür, dass der Text nicht in Sentimentalität und Kitsch abrutscht, sorgt immer wieder Schäfers typischer Humor und seine Ironie, wobei manche Begriffe und Phrasen wie "Arschloch-Detektor", "Groove" oder "Doc Boenisch rules" allerdings als kleine Stilbrüche auffallen. An einzelnen Passagen mag man sich stören, beispielsweise der Beschreibung einer übergewichtigen Mutter im letzten Drittel des Buches. Meistens aber stimmt der Ton.
Zu früh ist zwar nicht Schäfers erster autobiografischer Text. Schon Der Couchrebell aus dem Jahr 2015 verspricht im Untertitel Streifzüge durchs wahre Leben. Aber er ist deutlich beeinflusst von der momentanen Konjunktur autobiografischen Erzählens, die durch den internationalen Erfolg der französischen Autoren Didier Eribon, Édouard Louis und der Grande Dame des Genres, Annie Ernaux, ausgelöst wurde. Stilistisch klingt gerade Letztere auch bei Schäfer an, im deutschen Kontext lässt sich ein Vorbild in den autobiografischen Romanen Uwe Timms ausmachen. Die politische Dimension, die die meisten dieser Bücher aufweisen, fehlt bei Schäfer. Man muss das aber nicht als Schwäche sehen, es zeigt vielmehr, welche weiteren Möglichkeiten diese Art des Schreibens bietet. Und intime Reflexionen über Vaterschaft und über Geburt aus Sicht eines Mannes haben auch wieder eine gesellschaftliche Bedeutung. An einer Stelle sorgt der Erzähler sich, ob dieser Roman nicht vielen wehtue. Doch abgesehen davon, dass diese Gefahr bei jedem Text, insbesondere jedem autobiografisch grundierten besteht, liegt hier ein Buch vor, das Hoffnung macht und das Leben in seiner Fragilität feiert. Dem als Spezialisten für das Laute und Harte bekannten Autor – zuletzt etwa mit seinem lesenswerten AC/DC-Bändchen in Reclams Reihe 100 Seiten –, ist ein stilles und zärtliches, sehr berührendes literarisches Zeugnis gelungen. |