Am Erker 78

BELLA triste 54

Edit 78/79

Krachkultur 20

 
Zeitschriftenschau 78
Andreas Heckmann
 

Wie hab ich Bukowski verabscheut! Immer Sauf- und Frauengeschichten. Bier trinken, lamentieren und rummachen. Ich hab ihn gehasst. Ob das inzwischen anders wäre? Ob ich seinen Storys heute etwas abgewinnen könnte? Ich scheue mich, es zu ergründen. Über Literatur aber konnte er schreiben, über die Bücher anderer. Super Texte immer wieder, etwa in der neuen Krachkultur 20 zum Thema Lyrik. Da bespricht er den 1964 in Toronto veröffentlichten Gedichtband The Laughing Rooster des Kanadiers Irving Layton (1912-2006), einem Freund von Leonard Cohen, dessen frühe Dichtung von Layton beeinflusst war, wie Wikipedia verrät. Das macht er enorm lässig und schlau, das muss man erst mal schaffen. Bukowski: "Layton hat 'Respekt vor solidem Handwerk und akribischer Überarbeitung'. Ich nicht. 'Man denke an Swinburnes letzte, unrühmliche Jahre', schreibt er, 'oder an Rilkes Jahrzehnt der peinigenden Sterilität'. Bloß nicht. Da trinke ich lieber ein Bier. Layton schreibt, Yeats hätte zwei Jahre lang auf dem Trockenen gesessen. 'Keine Gärung, keine Lyrik: So könnte man das auf den Punkt bringen.' Lyrik ist zweifellos ein gefährliches Geschäft. Bis ich 35 war, habe ich besoffen auf der Straße rumgelegen und erst dann angefangen, Gedichte zu schreiben." Mit wenigen Sätzen schwingt Bukowski sich hier zum Herrn auf und gibt das zu besprechende Buch, aus dessen Vorwort er zitiert, der Lächerlichkeit preis. Aber nur, um im weiteren Verlauf seiner Rezension allmählich vom Ross zu steigen und am Ende den Hut zu ziehen vor einem Dichter, der ihn erwischt hat. Kann man machen, Leserinnen und Leser einer Kritik an die Hand nehmen und mit ihnen ein Buch durchwandern. Nicht bildungsbürgerlich freilich, sondern immer bereit, zwischendurch am Büdchen ein Bier zu zischen. Obwohl: "Als ich angefangen habe, diese Rezension zu schreiben, schien die Sonne noch. Ich habe ein halbes Dutzend Zigaretten geraucht, meine Schreibmaschine repariert, weil sie keine Leerzeichen mehr gemacht hat, und eine Kanne Kaffee, aber bisher weder Wein noch Bier getrunken. Inzwischen ist es dunkel und im Radio läuft düstere klassische Musik."
Wer Klapsmühle mit Doppel-P schreibt, ist reif für Dalldorf, mag Joseph Felix Ernst sich gedacht haben, als er seinem Zyklus "Im Mündungsfeuer meiner Selbstherrlichkeit" den Untertitel "Klappsmühlen-Gedichte" gab. Über dessen autobiografischen Gehalt möchte ich nicht spekulieren, aber ob man so schreiben kann, ohne im Jenseits der Psychiatrie gewesen zu sein oder doch in sehr alterierten Zuständen? "für alle siffbrüchigen. für alle anthro-pop-hagen: und / mein haferlschuh hat sein ledriges maul voller / mentschenfleisch." Unbedingt jedenfalls hat der Autor einen Hang zum religiös induzierten Delir: "wer sich am bruderkonradbrunnen die augen auswäscht der / kriegt einen glasigen blick. der kuriert sich das starige. // die billmesserei / die bockschneiderei / ist eine diagnose (hier IN LOCO / SEPARATO) / für alle. verteilt (vergeilt) sich wie hostien an armsünder." Weit nüchterner dagegen und doch sehr berührend Safiye Can: "Wir gehn auf die Straße und laufen wohin / dem Gefühl nach einfach wohin / wenn wir in Innsbruck sind / zeig ich dir die Berge / da ist das Literaturhaus, sag ich / da die Berge. / Wir nehmen die Seilbahn und fahren hoch hinauf / über den Wolken hoch hinauf sag ich, schau / das hier sind al-les [!] Berge."
Und dann gibt's noch das Faksimile einer handschriftlichen Notiz von Heiner Müller zu Hugo von Hofmannsthals Ein Brief, kundig kommentiert von Kristin Schulz, die seit 2008 das Heiner-Müller-Archiv der HU leitet und die gesammelten Gedichte von Müller und Thomas Brasch herausgegeben hat. Müller notierte: "Die Freude (+ Erleichterung) z.B. bei Hofm[annsthal] zu lesen, was man selber, aus Angst bei Kitsch ertappt zu werden, nicht mehr formulieren/schreiben könnte würde". "Für Müller", so Schulz, "ist Manche freilich ... ein 'Jahrhundertgedicht', das ihn bis in seine letzten Lebensjahre begleitet und in dem er auch noch die Situation der 1990er Jahre reflektiert sieht. Er stellt es - als 'aktuellen Text' - im Mai 1993 an den Schluss einer Lesung eigener Werke aus 40 Jahren: eine Art Resümee."
Edit erscheint diesen Herbst als Doppelnummer 78/79 mit opulenten 252 Seiten, die überwiegend den auf die Shortlist gelangten Einsendungen zum Edit-Essaypreis gewidmet sind. Not my cup of tea. Sprachlich bärenstark, von hoher Imaginationskraft und emotionaler Intensität aber David Leon Vajdas Prosa "Die Schwimmhaubenfrau", die von der Beerdigung der Mutter des Ich-Erzählers berichtet, einer Feier, die denkwürdig entgleist, als die angezechte Trauergemeinde das Münchner Prinzregentenbad heimsucht und in schwarzem Anzug, schwarzem Kleid ins Becken springt. Dazu in Einschüben Splitter aus der Krankengeschichte ("Die niederschmetternde Unsicherheit einer Sterbenden, davon erzählt dir niemand etwas"), ein One-Night-Stand unterm Schock des Muttertods ("Während wir redeten lag sie in dem kleinen 80er-Jahre-Pressholz-Hotelzimmer auf dem Bett, ich saß auf einem Stuhl direkt daneben, Beine übergeschlagen, rechtes Sprunggelenk auf dem linken Knie. Ich fühlte mich wohl, hier herrschte keine Unsicherheit, ich konnte funktionieren"). Mehr davon! Bin jetzt schon süchtig. Großartig auch die fotografischen Selbstporträts in verschiedensten Rollen, die Cornelia Schleime (*1953 in Ost-Berlin, Malerin, Performerin, Filmemacherin, Autorin) auf Akten geklebt hat, die ihre Observation durch die Stasi dokumentieren: mal statuesk auf der polierten Tischplatte eines DDR-Sitzungssaals; mal im Bett, mit gespreiztem Bein die Tasten des Telefons drückend; dann vor einem weißen Straßenkreuzer posierend; im Fellfummel im Grünen, und einer massiert; an unfassbar langen Extensions einen Kinderwagen in einer Ost-Villenkolonie hinter sich herziehend. Allererste Sahne das.
Zu BELLA triste 54: Julienne de Muirier, *1994 in Köln, Studentin in Dortmund, erzählt in "das teppichhaus", wie eine Frau einen Teppich aus der Reinigung holen will. Und die Geschichte des Teppichs. Also das Bruchstück, das sie kennt. Und das uns nichts verrät, gar nichts. Wie wir auch von der Ich-Erzählerin nichts erfahren. Oder von den Mitarbeitern des Teppichhauses. Trotz aller Interaktion. Das ist sehr schön geschildert, rätselhaft, vage und doch ganz konkret. "ich hob den kopf, reckte den hals, machte den rücken gerade, drückte die schultern nach hinten, hatte in der zeit dreimal mit den fingern geschnipst und dachte, das reicht, ich muss dem mann jetzt etwas sagen, und sagte, ich müsse einen teppich abholen." Das mit der Kleinschreibung nervt allerdings, und die Kommasetzung ist heikel. Ansonsten aber: unbedingt weiter so!

 

BELLA triste 54. 110 Seiten. € 6,00.

Edit 78/79. 252 Seiten. € 14,00.

Krachkultur 20: Das Lyrik-Heft. 208 Seiten. € 14,00.