Am Erker 86

 
Texte
Am Erker 86, Münster, April 2024
 

Christina König
Führ dich nicht auf

Sie rennt fast gegen die Glastüren, die sich zu langsam öffnen. Das macht sie bei allen Glastüren. Das wirst du noch merken.
Ich bin hier für den Vinyasa-Yogakurs.
Sie sagt nicht Hallo. Sie ist zu effizient für ein Hallo.
Du gibst ihr die Infos, die sie haben will. Es sind nicht viele. Wenn du etwas sagst, was sie nicht interessiert, hört sie nicht zu. Ihr Körper biegt sich schon zum Kursraum, als sie sich noch einmal umdreht. Gibst du den Kurs?
Nein.
Ihr Blick klettert über dein dunkelgrünes Mitarbeiterinnen-T-Shirt. Schade, sagt sie und weht an den Crosstrainern vorbei zum Yogaraum.

In deinen Augenwinkeln marschiert sie auf den Yogaraum zu. Du ziehst ein paar Handtücher über deine Lernunterlagen. Tut mir leid, rufst du ihr nach, Yoga fällt heute aus.
Sie wirbelt herum. Was?
Steffi ist krank.
Auf die Idee, dass ihr das mal kommuniziert, kommt ihr nicht?
Wir haben eine Mail geschickt. Und gepostet.
Sie wischt über ihr Handy. Die ist im Spamordner.
Da können wir jetzt auch nichts machen.
Unglaublich. Sie stürmt aus dem Studio. Ihre Sporttasche schlackert gegen den Ständer mit den Flyern. Du weißt jetzt schon, dass sie nicht stehen bleiben und irgendetwas aufklauben wird.

Mit ihrem Vitaminwasser lehnt sie an der Theke und hält dich vom Arbeiten ab. Ich mag deine Tattoos, sagt sie und fährt die Dornenranke auf deinem Arm nach. Bedeuten sie was?
Ich hab sie einfach im Katalog gesehen.
Du hast sie an einem Mädchen gesehen, das dir vor Jahren gefallen hat, aber das erzählst du ihr nicht.
Du bist die Ärgste.
Beim Yoga biegt und dehnt und streckt sie sich in alle Richtungen. Gerötet und glänzend sieht sie weniger arrogant aus als sonst. Du magst sie nicht besonders, aber sie ist scharf und es ist angenehm, dass du bei einer Frau mal nicht den ersten Schritt machen musst. Du schaust nicht auf, als sie nach dem Kurs das Studio verlässt. Zu interessiert willst du auch nicht wirken.

Gehst du was mit mir trinken?
Sie trägt noch ihren Sport-BH. Du hast dir den Anblick schon durch die Glaswände des Yogaraums gegönnt und tust jetzt unbeeindruckt.
Solltest du mich nicht mal fragen, wie ich heiße?
Von mir aus. Wie heißt du?
Alex.
Von Alexandra?
Von was sonst?
Also, Alexandra, gehst du was mit mir trinken?
Du schaust sie von oben bis unten an, als würdest du zum ersten Mal überlegen, ob du sie attraktiv findest.
Wann?
Freitagabend.
Ich kann erst ab neun.
Dann um neun.
Sie nennt eine Schickimicki-Bar, die zu dem passt, was du dir unter ihrem natürlichen Umfeld vorgestellt hast, und sagt: Gib mir deine Nummer.
Du wartest, dass sie dir ihr Handy gibt. Sie tut es nicht. Du diktierst deine Nummer und sie steckt das Handy weg, ohne bei dir anzuläuten.
Ich hab deine nicht.
Dann kannst du nicht absagen.
Sie hat dir ihren Namen nicht gesagt. Sie weiß genau, dass du schon in der Kundenkartei nachgesehen hast. Allein deswegen wirst du dich am Freitag einladen lassen. Und weil sie das Premium-Abo im Studio abgeschlossen hat, nur um einmal pro Woche den Yogakurs zu besuchen und sich ein gratis Mineralgetränk zu nehmen.

Sie hockt an einem Tisch in der Mitte der Bar, was dir schon mal grundsätzlich unsympathisch ist. Du diagnostizierst ihr einen Aufmerksamkeitskomplex, aber das sagst du ihr nicht. Du hast spekuliert, was sie anziehen wird, aber sie sieht aus wie immer. Ganz hast du ihre Gender-Identität noch nicht durchschaut: Sie ist nicht butch, rockt ihre Power Heels und trägt Eyeliner, aber sie hat diese knittrigen Hemden und die platinblonde Kurzhaarfrisur, die sie zur Seite gelt, und einen so lässigen Gang kennst du sonst nur von Männern.
Sie blickt nur nebenbei von ihrem Handy auf. Kommst du immer zu spät?
Bist du immer ein Arschloch?
Sie grinst und legt das Handy weg. Sie bestreitet es nicht.

Willst du langfristig im Fitnessstudio arbeiten?
Sie bestellt eine der teuersten Spirituosen. Sie macht das nicht absichtlich. Es fällt ihr einfach nicht auf.
Nein. Ich mach mich als Masseurin selbstständig.
Du hast längst gelernt, dass du nicht sagen darfst: Ich will mich als Masseurin selbstständig machen. Bei ihr funktioniert es auch – sie macht den üblichen dummen Kommentar, dass du gern an ihr üben darfst, aber sie lacht dich nicht aus. Du erklärst, dass du deine Praxisjahre schon hast und jetzt für Befähigungs- und Unternehmensprüfung lernst. Sie fragt nach den Kosten. Sie ist nicht zimperlich bei Finanziellem und das findest du sympathisch. Als du sagst, dass du auch Nächte im Lager eines Supermarktdiscounters arbeitest, schaut sie dich an wie ein prähistorisches Skelett.
Was machst du?
Immobilienmaklerin.
Du fragst, was sie verdient. Es ist ungefähr so schlimm, wie du es dir vorgestellt hast.

Sie legt ihre Hand auf deinen Arm und schaut dich dabei nicht an. Ihre Knie lehnen an deinen wie Schaufeln an der Gartenhütte. Sie ist so sachlich, als würdet ihr seit Monaten miteinander schlafen. Ein bisschen mehr bemühen könnte sie sich schon. Du hast dein bestes bauchfreies Top angezogen und sie schaut auf deinen Nabel wie in die Waschmaschine im Schleudergang. Du tust ihr nicht den Gefallen zu schmollen. Als ihr rausgeht, fragst du: Zu mir oder zu dir?
Sie schnaubt. Zu mir.

Ihr küsst euch erst, als sie sich schon ausgezogen hat. Du bist betrunken genug für einen halbherzigen Striptease und verhedderst dich in der Unterhose. Du leckst sie zuerst und sie sagt dir genau, was sie will, und das ist dir nur recht, weil es spät ist und du keine Lust hast aufs Rätselraten. Sie ist unkompliziert und kommt ohne viele Geräusche und Zeitaufwand. Dein Orgasmus ist mickrig, aber du bist selbst schuld, weil du nicht so gut kommunizierst wie sie, und am Ende ist sie genervt. Berauschend war es nicht, aber es hat Potential.

Als klar ist, dass nichts mehr kommt, wühlst du dich halbherzig aus ihrer Bettwäsche. Ich geh dann mal. Du bist nicht scharf darauf, mit ihr zu frühstücken, aber du willst nicht raus in die Kälte und du weißt nicht mal genau, wo ihr Haus ist. Du hoffst, sie sagt, du sollst bleiben. Sie sagt: Ich ruf dir ein Taxi. Du ziehst dich an, sie telefoniert und nachher führt ihr Smalltalk, während sie im Bett gähnt. Als die Scheinwerfer des Taxis im Fenster aufblitzen, küsst du sie auf die Wange. Sie wischt schon auf ihrem Handy herum. Das blaue Licht malt ihr Höhlen ins Gesicht.

Über die Theke im Fitnessstudio streckt sie dir zwanzig Euro hin. Für das Taxi.
Geh bitte.
Sie schiebt dir den Schein unter die Tastatur. Führ dich nicht auf.
Sie tut, als hättet ihr nie miteinander geschlafen. Du wolltest dich kein zweites Mal mit ihr treffen, aber wenn sie nicht will, willst du aus Prinzip. Du steckst den Zwanziger ein und hoffst, dass dich niemand sieht.
Ein paar Tage später schreibt sie dir eine Nachricht: Was machst du am Wochenende?