Sabine Neumann
An einem Rauchertisch sitzen drei Männer.
Sie streifen die Asche ihrer Zigarren am Aschenbecher ab und lassen
dünne Rauchfäden in die Luft steigen.
Sie sind mit ihrer Zeitungslektüre fertig und beginnen ihre
Gedanken auszutauschen.
Der eine ist Vertreter eines weltberühmten Haarwiederherstellers,
des zuverlässigsten und sicherlich unschädlichsten Mittels,
um grauen oder weißen Haaren ihre natürliche Farbe
wiederzugeben und ihnen zugleich frische Lebenskraft, erneuertes
Wachstum und große Schönheit zu verleihen. Seit 40
Jahren in 702 Ländern der ganzen Welt bekannt und bewährt.
Er hat jetzt eine große Reise genau geplant. Er will den
Nordpol mit dem Luftballon erreichen. Dazu will er drei Ballons
mittels eines hölzernen Rahmenwerks zusammenkuppeln, die
außer sechs Mann Besatzung 60 Zentner an Schlitten, Bootsschlitten,
Geräte, Lebensmittel, Zelte, komprimiertes Gas, Ballast und
Hunde zum Ziehen der Schlitten aufnehmen sollen. Das Rahmenwerk
wird mit Stricken versehen, um die Verbindung von Ballon zu Ballon
zu ermöglichen. Durch Ballastsäcke, die an dem Rahmen
je nach Bedürfnis aufgehängt und verschoben werden können,
sollen die Ballons im Gleichgewicht erhalten werden; Schleppseile
sollen das Aufsteigen der Ballons über eine gewisse Höhe
(500 Fuß) hinaus verhindern; mit dem Schiff, von dem aus
die Ballonfahrt unternommen wird, würde man durch einen Draht,
der von einem an den Rahmen angebrachten großen Rad abgewickelt
wird, telegraphische Verbindungen unterhalten. Durch die Messung
der Menge des abgewickelten Drahtes würde man die zurückgelegte
Entfernung ermitteln.
Er schlägt vor, die Ballons Ende Mai aufsteigen zu lassen.
In Folge der unweit des Nordpols herrschenden eigentümlichen
Windverhältnisse hofft er sich dem Pol bis auf mindestens
20 englische Meilen nähern zu können. Die Ballons würden
sodann sicher vor Anker gelegt, die Reise zum Nordpol fortgesetzt
und dort die erforderlichen Beobachtungen gemacht. Mit einem günstigen
Retourwind würde er die Rückreise antreten, nachdem
er die Füllung der Ballons aus den mitgenommenen Vorräten
von Gas ergänzt hätte. Bei den erforderlichen Landreisen
würden die mitgeführten Hunde und Schlitten benutzt.
Er wird Herren mitnehmen, die zur Durchführung von astronomischen,
botanischen, zoologischen, meteorologischen und anderen wissenschaftlichen
Beobachtungen geeignet sind.
Er blickt ernst auf die Asche seiner Zigarre, die jetzt in einem
ganzen Stück auf den Boden hinabfällt und somit ein
günstiges Vorzeichen für seine geplante Reise darstellt.
Sein Nachbar neigt gedankenvoll den Kopf.
Der Mensch wird nie fliegen können wie der Sperling, wie
die Taube, wie die Krähe und so weiter. Zu solchem Flug reicht
die Muskelkraft des Menschen nicht aus.
Er sieht aber mehrere große Aufgaben für die Zukunft.
Erstens. In dreihundert Jahren wird man eine Bevölkerung
von über zweiundneunzigtausend Millionen Menschen zählen.
Wo sollen die ungeheuren Menschenmassen Obdach und Nahrung finden?
Er sieht die Menschen den Bauch der Erde durchwühlen. Dann
ziehen sie aufs Meer hinaus. Die Menschen werden also das Festland
verlassen und sich auf der Meeresfläche ansiedeln. Der Aufenthalt
auf dem Meer ist gesund.
Er jedoch hat das Problem weitergehender und gründlicher
gelöst.
Er hat den Thermophon erfunden.
Er hat die Pläne fertig gezeichnet und an die wichtigen Männer
der Welt gesandt. Es müsse nämlich auf eine einfache
Weise gelingen, die Wärmeschwingungen des Weltäthers
in Elektrizität und diese, am Bestimmungsort angelangt, wieder
in Wärme zu verwandeln. Ein einziger Draht könnte im
Stande sein, an der Endstation eines Thermophons dieselbe Temperatur
hervorzurufen, welcher er an der Anfangsstation ausgesetzt war.
Da hierdurch nicht nur ein unendlich vereinfachtes Heizungssystem
der menschlichen Wohnungen ermöglicht würde, sondern
die nördlich gelegenen Länder ihr ganzes Klima telegraphisch
oder thermophonisch aus den Tropen beziehen könnten, so wäre
diese Erfindung vielleicht die wichtigste für das Menschengeschlecht.
Nichts wäre leichter, als ein paar tausend Thermophondrähte
vom Äquator zu den Polen zu ziehen, und dann wäre es
ganz gut möglich, mit südlicher Glut das nordische Eis
zu schmelzen und den tief gefrorenen Boden allmählich aufzutauen.
Die Polargegenden sind vom ewigen Eis befreit und trockengelegt.
Mit himmlischer Kraft werden die Eiskappen des Erdballs zertrümmert.
In Grönland werden Bananen und Palmen wachsen.
Eine herrlichere, glänzendere Welt wird entstehen.
Die größten Triumphe feiert die Menschheit nämlich
immer dann, wenn sie die Gewalt der Naturkräfte im Großen
besiegt, wenn sie die Oberfläche unseres Planeten nach ihrem
Willen verändert und das Klima nach ihren Bedürfnissen
umgestaltet.
Er lacht glücklich. Er ist ein Ingenieur. Er hat sich in
seiner Freizeit dem schwierigen Problem der Herstellung unnachahmbarer
Banknoten gewidmet und dieses auch gelöst.
Die Zeit ist groß, ruft er aus.
Ja, die Zeit ist groß! sagt sein Nachbar, ein Privatier
mit großer Allgemeinbildung, außerdem Liebhaber der
Sterne.
Zunächst erzählt er von einer neuen Erfindung, von der
er soeben gelesen hat: Es soll jetzt Papierzähne von unverwüstlicher
Dauerhaftigkeit geben. Es sei überhaupt völlig unglaublich,
was man mit Papier alles anstellen könne. In Amerika gebe
es schon lange Papierwäsche und Fässer aus Papier.
Ebenso sei es gelungen, Eisenbahnschienen aus Papier herzustellen.
Auf der Papierausstellung in Berlin sei ein ganzes Haus aus Papier
gebaut worden, mit Papierteppichen, Papiervorhängen und Möbeln
aus Pappmasse. Wo waren wir? Die Zeit ist groß: Raum und
Zeit haben wir sozusagen überwunden.
Das Bild des Blitzes bannen wir auf eine Glasplatte; wir sprechen
auf hunderte und schreiben auf tausende von Meilen Entfernung,
wir stauen Tönefluten in einem winzigen Instrument und überliefern
der Nachwelt die Klangpalette begnadeter Menschenstimmen.
Unser Auge durchforscht die tiefsten kosmischen Fernen.
Alles, was der Mensch denken kann, kann er auch in die Wirklichkeit
umsetzen. Dem menschlichen Erfindergeist sind keine, er wiederholt:
keine Grenzen gesetzt. Er persönlich habe eine Lieblingsidee:
Könnte man eine Kanone mit einer hinreichend starken Ladung
versehen, so wäre man im Stande, eine Kugel mit einer Kraft
abzuschießen, welche ein Herunterfallen zur Erde unmöglich
machte, so daß die Kugel eine krumme Linie um die Erde beschreiben
müßte und somit gleichsam einen künstlichen Mond
darstellen würde, welcher ganz denselben Gesetzen unterworfen
wäre wie der natürliche.
Eine der leichtesten Aufgaben der Mechanik ist es nun aber, die
Kraft beziehungsweise die Anfangsgeschwindigkeit festzustellen,
welche eine derartige Kanonenkugel nötig hat, um sich für
immer von der Erde zu trennen; diese Geschwindigkeit ist die Quadratwurzel
aus dem Produkt der Fallhöhe und dem Durchmesser der Erde
und beträgt 7617 Meter.
Gäbe man einer Kanonenkugel einen Durchmesser von 30 Metern
und nähme man an, daß sie sich von der Erdoberfläche
nur um 200 Kilometer entfernte, so würden wir sie des Nachts
ganz gut mit bloßem Auge wahrnehmen können und zwar
in derselben scheinbaren Größe wie den Planeten Saturn,
besonders wenn ihre Außenfläche mit möglichst
vollkommenen Spiegeln überzogen würde. Durch Jahrmillionen
würde dieser Körper seinen Heimatplaneten umkreisen.
Er nimmt den vollen Aschenbecher und läßt ihn um den
Kopf seines Nachbarn kreisen, wobei etwas Asche auf dessen Scheitel
rieselt.
Dann sinken alle drei ermattet in ihren Sesseln zurück.
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