Björn Kern
Warum am Ende ich die Scheune in Brand setzte
und nicht Tarim, kann ich nicht sagen. Tarim hatte den ganzen
Juni von nichts anderem gesprochen, er hatte den ganzen Juli von
nichts anderem gesprochen, aber im August wurde er still. Ich
wollte Tarims Plan nicht in die Tat umsetzen, ich wollte ihm nichts
beweisen, ich zündete das Stroh an und hatte nicht die leiseste
Ahnung, warum.
Neben Stroh beherbergte die Scheune ein Segelflugzeug, eine K8
aus den Dreißigern, ganz aus Holz. Das Höhenruder hatte
auf der rechten Seite eine fissure, Marcel hätte keinen halben
Tag gebraucht, das Birkenholz auszubessern und neuen Spannlack
aufzutragen, aber er tastete den Bruch nicht an. Marcel schwieg
sich aus darüber, ob der Segler sonst flugfähig war,
ob er selbst überhaupt fliegen konnte und darüber, wie
ein deutscher Oldtimersegler in seine Scheune kam.
Der Segler trug keine Hoheitszeichen, nicht von der Wehrmacht
und nicht von der armée. Marcel war kein richtiger Nazi,
aber auch kein Sammler, was er mit dem Segler wollte, verstanden
weder Tarim noch ich. Einmal im Monat, mit einbrechender Dunkelheit,
stemmte Marcel die Scheunentore auf, rollte Rumpf und Flächenhälften
ins Freie und setzte den Segler im Scheinwerferlicht seines Renaults
zusammen. Dann löschte er die Scheinwerfer und entfernte
die Plane über dem Cockpit.
Er streicht wieder um seinen Segler, sagte Tarim dann angewidert,
er tätschelt ihn wie eine Frau! Marcel hatte Sonnenblumenfelder
und Lavendelfelder, er hatte eine Ölmühle, deren ätherische
Öle deutsche Studienräte zu esoterischen Preisen erstanden,
er hatte mit Tarim einen Knecht und mit mir einen Erntehelfer,
seine Frau aber hatte er vor Jahren verloren.
Auf den Feldern verbrannte mir die Sonne Nacken und Arme, die
Haut schälte sich Tag für Tag in tieferen Schichten,
Tarim sah zu, wie ich mir immer wieder Hautfetzen vom Leib zog.
Abends schüttelten wir uns den Sonnenblumenstaub aus den
Kleidern und versuchten den Lavendelgeruch von den Fingern zu
waschen.
Der Lavendel roch nicht gut, der Lavendel stank. Er verkroch sich
in allen Poren und strömte nachts wieder hervor, hielt ich
mir ein Taschentuch vor den Mund, wurde es lila, beim Einschlafen
hatte ich den süßen Geruch in der Nase, beim Aufwachen,
ich träumte von violetten Feldern, Lavendel, dachte ich am
Morgen, am Mittag, am Abend, noch nach dem Waschen rochen meine
Kleider danach, bitter und süß.
Für Marcel war der Geruch von Lavendel auch nach 35 Jahren
noch ein Duft. Wie kann er nur das ganze Gehöft mit seinen
Ölen volltropfen, fragte Tarim, auf dem Land riecht es nach
Staub und nach Dung! Als wir eines Nachts beobachteten, wie Marcel
Lavendelöl auf den Segler tröpfelte und auf das Cockpit
ein halbes Fläschchen verschwendete, sprach Tarim das erste
Mal davon, die Scheune anzuzünden. Abfackeln, sagte er, es
bleibt uns nichts übrig, als das Ding abzufackeln, am besten
sofort. Tarim sprach von Marcels runder Halbglatze, von seinem
schweren Bauch, von seinen Tränensäcken und von der
roten, trockenen Haut.
In der Hochsaison halfen Tarim und ich beim Verkaufen auf dem
Markt von Montélimar. Wir überhäuften unseren
Stand mit Sonnenblumensträußen und Lavendelöl,
Marcel verteilte die Rollen, ich musste die deutschen Studienräte
ansprechen, Tarim musste fremd aussehen und Sträuße
binden, Marcel selbst überwachte das Geld.
Die deutschen Studienräte trugen Backenbärte und Khakishorts
oder Wickelröcke und Aufsteckfrisuren. Sie interessierten
sich für meinen Abischnitt und die Zahl meiner Geschwister
sowie für deren Abischnitte, und hinterließen ein Trinkgeld,
das den Verkaufspreis bei weitem übertraf. Sie sagten: damit
ihr euer Studium finanzieren könnt, und steckten Tarim und
mir Scheine in die Hemdtaschen.
Ich studierte nicht. Ich hatte nicht einmal Abitur, ich hasste
Lehrsäle und Bibliotheken, was mich interessierte, fand unter
freiem Himmel statt, das Geld gab ich Tarim, er sammelte es für
seine Familie daheim. Marcel beobachtete mit einem Auge die Kasse,
mit dem anderen Tarim, von hinten, er traut ihm nicht, weil er
Marokkaner ist, dachte ich.
Am letzten Markttag im August hatte der Renault eine Panne. Wir
ließen La Bégude gerade hinter uns, die Morgensonne
färbte das Tal gelb und violett, als der linke hintere Reifen
Luft verlor. Wir schlingerten an den Straßenrand, Marcel
fluchte. Tarim stieg aus, begutachtete den Schaden und machte
sich wortlos an die Arbeit. Er warf Lavendelöl und Sonnenblumen
in den Graben, um an das Reserverad unter der Ladefläche
zu gelangen, und legte sich mit dem Wagenheber unter die Karosserie.
Marcel kroch ebenfalls darunter, ich sah von beiden nur noch den
Rumpf ohne Kopf, Marcels Bauchkugel lag grotesk neben Tarims schmalem
Körper, sie müssen doch nur den Wagenheber unter die
Karosserie klemmen, dachte ich und steckte mir eine Zigarette
an. Dann sprang Tarim unter dem Renault hervor, jetzt war er es,
der fluchte, er setzte sich in den Straßengraben, während
Marcel das Rad wechselte.
Wir kamen nur eine Stunde zu spät auf den Markt, allemal
früh genug für die Studienräte, ich war der Einzige,
der sprach, an diesem Morgen, zwischen Marcel und Tarim gefror
die Luft zu Blöcken. Beim nächsten Mal, dem ersten Markttag
im September, weigerte Tarim sich mitzufahren. Er weigerte sich
nicht nur mitzufahren, er weigerte sich, zusammen mit Marcel den
Renault zu beladen, er weigerte sich, mit Marcel an der Ölmühle
zu arbeiten, er weigerte sich, mit ihm zu essen. Nur auf den Feldern,
allein und Kilometer vom Hof entfernt, half er noch mit.
Wenn du so weitermachst, schickt er dich fort, sagte ich, und
Tarim spuckte auf den rissigen Boden zwischen den Lavendelstauden
und zuckte mit den Schultern. Marcel schickte Tarim nicht fort.
Er schimpfte ein wenig, wenn sie sich auf dem Hof begegneten,
und fuhr mit mir auf den Markt, ohne jede Erklärung.
Auch Tarim antwortete nicht, wenn ich ihn fragte, er sprach von
Christen und Moslems, von Männern und Frauen, von Tradition
und von Reinheit, ich folgte ihm kaum. Er würde am liebsten
die Scheune in Brand setzen, sagte er, vorher könne er nicht
in seine Heimat zurück. Er klang altertümlich und beeindruckte
mich doch.
Tarim arbeitete seit zwei Jahren in Frankreich. Seine Familie
lebte eine Stunde hinter Marrakesch in den Bergen. Er hatte Touristen
zur Quelle von Ourika geführt, über schmale Hirtenpfade,
die ein Fremder nicht fand. Nach dem elften September versiegte
der Touristenstrom, die Europäer können Marokko nicht
von Algerien unterscheiden, schimpfte Tarim, und Moslems nicht
von Islamisten. Er hatte sein Land verlassen, zum Geldverdienen,
seine Mutter hatte geweint, sie hatte ihn zurückgehalten,
und sie hatte ihn fortgeschickt.
Tarim hat sich nicht von mir verabschiedet. Eine Woche vor meiner
Abfahrt klopfte ich an seine Zimmertür, er öffnete nicht,
in der Küche schüttete Marcel Feigenschnaps in seinen
Kaffee. Er ist fort, sagte er und knirschte mit den Zähnen,
die Kaffeeschale schlug hart auf den Küchentisch, als er
sie abstellte.
Drei Tage lang tat ich, als wäre nichts geschehen. Ich erntete
die letzten Lavendelstauden ab und half in der Ölmühle,
schüttelte abends den Sonnen- blumenstaub aus den Kleidern
und versuchte den Lavendelgeruch von den Fingern zu waschen. Als
mir die Studienräte am vierten Tag ihr Trinkgeld zusteckten
und ich es Tarim nicht weiterschenken konnte, sah ich Marcel in
die Augen, schlug ihm vor den Kunden ins Gesicht und trampte zurück
nach Bonlieu. Auf dem Hof lief ich direkt in die Scheune, hob
die Plane vom Cockpit der K8. Das Cockpit war leer. Ich sank auf
einen Strohballen und zündete mir eine Zigarette an, die
Kippe drückte ich nicht aus.
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