Texte
Am Erker 56, Münster, Dezember 2008
 

Björn Kern
K8

Warum am Ende ich die Scheune in Brand setzte und nicht Tarim, kann ich nicht sagen. Tarim hatte den ganzen Juni von nichts anderem gesprochen, er hatte den ganzen Juli von nichts anderem gesprochen, aber im August wurde er still. Ich wollte Tarims Plan nicht in die Tat umsetzen, ich wollte ihm nichts beweisen, ich zündete das Stroh an und hatte nicht die leiseste Ahnung, warum.
Neben Stroh beherbergte die Scheune ein Segelflugzeug, eine K8 aus den Dreißigern, ganz aus Holz. Das Höhenruder hatte auf der rechten Seite eine fissure, Marcel hätte keinen halben Tag gebraucht, das Birkenholz auszubessern und neuen Spannlack aufzutragen, aber er tastete den Bruch nicht an. Marcel schwieg sich aus darüber, ob der Segler sonst flugfähig war, ob er selbst überhaupt fliegen konnte und darüber, wie ein deutscher Oldtimersegler in seine Scheune kam.
Der Segler trug keine Hoheitszeichen, nicht von der Wehrmacht und nicht von der armée. Marcel war kein richtiger Nazi, aber auch kein Sammler, was er mit dem Segler wollte, verstanden weder Tarim noch ich. Einmal im Monat, mit einbrechender Dunkelheit, stemmte Marcel die Scheunentore auf, rollte Rumpf und Flächenhälften ins Freie und setzte den Segler im Scheinwerferlicht seines Renaults zusammen. Dann löschte er die Scheinwerfer und entfernte die Plane über dem Cockpit.
Er streicht wieder um seinen Segler, sagte Tarim dann angewidert, er tätschelt ihn wie eine Frau! Marcel hatte Sonnenblumenfelder und Lavendelfelder, er hatte eine Ölmühle, deren ätherische Öle deutsche Studienräte zu esoterischen Preisen erstanden, er hatte mit Tarim einen Knecht und mit mir einen Erntehelfer, seine Frau aber hatte er vor Jahren verloren.
Auf den Feldern verbrannte mir die Sonne Nacken und Arme, die Haut schälte sich Tag für Tag in tieferen Schichten, Tarim sah zu, wie ich mir immer wieder Hautfetzen vom Leib zog. Abends schüttelten wir uns den Sonnenblumenstaub aus den Kleidern und versuchten den Lavendelgeruch von den Fingern zu waschen.
Der Lavendel roch nicht gut, der Lavendel stank. Er verkroch sich in allen Poren und strömte nachts wieder hervor, hielt ich mir ein Taschentuch vor den Mund, wurde es lila, beim Einschlafen hatte ich den süßen Geruch in der Nase, beim Aufwachen, ich träumte von violetten Feldern, Lavendel, dachte ich am Morgen, am Mittag, am Abend, noch nach dem Waschen rochen meine Kleider danach, bitter und süß.
Für Marcel war der Geruch von Lavendel auch nach 35 Jahren noch ein Duft. Wie kann er nur das ganze Gehöft mit seinen Ölen volltropfen, fragte Tarim, auf dem Land riecht es nach Staub und nach Dung! Als wir eines Nachts beobachteten, wie Marcel Lavendelöl auf den Segler tröpfelte und auf das Cockpit ein halbes Fläschchen verschwendete, sprach Tarim das erste Mal davon, die Scheune anzuzünden. Abfackeln, sagte er, es bleibt uns nichts übrig, als das Ding abzufackeln, am besten sofort. Tarim sprach von Marcels runder Halbglatze, von seinem schweren Bauch, von seinen Tränensäcken und von der roten, trockenen Haut.
In der Hochsaison halfen Tarim und ich beim Verkaufen auf dem Markt von Montélimar. Wir überhäuften unseren Stand mit Sonnenblumensträußen und Lavendelöl, Marcel verteilte die Rollen, ich musste die deutschen Studienräte ansprechen, Tarim musste fremd aussehen und Sträuße binden, Marcel selbst überwachte das Geld.
Die deutschen Studienräte trugen Backenbärte und Khakishorts oder Wickelröcke und Aufsteckfrisuren. Sie interessierten sich für meinen Abischnitt und die Zahl meiner Geschwister sowie für deren Abischnitte, und hinterließen ein Trinkgeld, das den Verkaufspreis bei weitem übertraf. Sie sagten: damit ihr euer Studium finanzieren könnt, und steckten Tarim und mir Scheine in die Hemdtaschen.
Ich studierte nicht. Ich hatte nicht einmal Abitur, ich hasste Lehrsäle und Bibliotheken, was mich interessierte, fand unter freiem Himmel statt, das Geld gab ich Tarim, er sammelte es für seine Familie daheim. Marcel beobachtete mit einem Auge die Kasse, mit dem anderen Tarim, von hinten, er traut ihm nicht, weil er Marokkaner ist, dachte ich.
Am letzten Markttag im August hatte der Renault eine Panne. Wir ließen La Bégude gerade hinter uns, die Morgensonne färbte das Tal gelb und violett, als der linke hintere Reifen Luft verlor. Wir schlingerten an den Straßenrand, Marcel fluchte. Tarim stieg aus, begutachtete den Schaden und machte sich wortlos an die Arbeit. Er warf Lavendelöl und Sonnenblumen in den Graben, um an das Reserverad unter der Ladefläche zu gelangen, und legte sich mit dem Wagenheber unter die Karosserie.
Marcel kroch ebenfalls darunter, ich sah von beiden nur noch den Rumpf ohne Kopf, Marcels Bauchkugel lag grotesk neben Tarims schmalem Körper, sie müssen doch nur den Wagenheber unter die Karosserie klemmen, dachte ich und steckte mir eine Zigarette an. Dann sprang Tarim unter dem Renault hervor, jetzt war er es, der fluchte, er setzte sich in den Straßengraben, während Marcel das Rad wechselte.
Wir kamen nur eine Stunde zu spät auf den Markt, allemal früh genug für die Studienräte, ich war der Einzige, der sprach, an diesem Morgen, zwischen Marcel und Tarim gefror die Luft zu Blöcken. Beim nächsten Mal, dem ersten Markttag im September, weigerte Tarim sich mitzufahren. Er weigerte sich nicht nur mitzufahren, er weigerte sich, zusammen mit Marcel den Renault zu beladen, er weigerte sich, mit Marcel an der Ölmühle zu arbeiten, er weigerte sich, mit ihm zu essen. Nur auf den Feldern, allein und Kilometer vom Hof entfernt, half er noch mit.
Wenn du so weitermachst, schickt er dich fort, sagte ich, und Tarim spuckte auf den rissigen Boden zwischen den Lavendelstauden und zuckte mit den Schultern. Marcel schickte Tarim nicht fort. Er schimpfte ein wenig, wenn sie sich auf dem Hof begegneten, und fuhr mit mir auf den Markt, ohne jede Erklärung.
Auch Tarim antwortete nicht, wenn ich ihn fragte, er sprach von Christen und Moslems, von Männern und Frauen, von Tradition und von Reinheit, ich folgte ihm kaum. Er würde am liebsten die Scheune in Brand setzen, sagte er, vorher könne er nicht in seine Heimat zurück. Er klang altertümlich und beeindruckte mich doch.
Tarim arbeitete seit zwei Jahren in Frankreich. Seine Familie lebte eine Stunde hinter Marrakesch in den Bergen. Er hatte Touristen zur Quelle von Ourika geführt, über schmale Hirtenpfade, die ein Fremder nicht fand. Nach dem elften September versiegte der Touristenstrom, die Europäer können Marokko nicht von Algerien unterscheiden, schimpfte Tarim, und Moslems nicht von Islamisten. Er hatte sein Land verlassen, zum Geldverdienen, seine Mutter hatte geweint, sie hatte ihn zurückgehalten, und sie hatte ihn fortgeschickt.
Tarim hat sich nicht von mir verabschiedet. Eine Woche vor meiner Abfahrt klopfte ich an seine Zimmertür, er öffnete nicht, in der Küche schüttete Marcel Feigenschnaps in seinen Kaffee. Er ist fort, sagte er und knirschte mit den Zähnen, die Kaffeeschale schlug hart auf den Küchentisch, als er sie abstellte.
Drei Tage lang tat ich, als wäre nichts geschehen. Ich erntete die letzten Lavendelstauden ab und half in der Ölmühle, schüttelte abends den Sonnen- blumenstaub aus den Kleidern und versuchte den Lavendelgeruch von den Fingern zu waschen. Als mir die Studienräte am vierten Tag ihr Trinkgeld zusteckten und ich es Tarim nicht weiterschenken konnte, sah ich Marcel in die Augen, schlug ihm vor den Kunden ins Gesicht und trampte zurück nach Bonlieu. Auf dem Hof lief ich direkt in die Scheune, hob die Plane vom Cockpit der K8. Das Cockpit war leer. Ich sank auf einen Strohballen und zündete mir eine Zigarette an, die Kippe drückte ich nicht aus.