Aufgelesen, nach dem Fall
Rolf Birkholz
Schemenhafte Züge gehören zur Dichtung. Sie lassen zwischen den Versen verweilen, sie machen zugleich manches deutlicher als gedacht. Antje Doßmann hat mit Schemen daher einen so allgemeinen wie treffenden Titel für ihren ersten Gedichtband gewählt.
Das Buch mit passenden, anregenden Grafiken von Stefanie Schwedes eröffnet ein weites Themenfeld. Dafür stehen etwa auch die Widmungen von Gedichten an die jüdische Dichterin Nelly Sachs einerseits und an die besonderen, auch außerchristlichen Orientierungen vermittelbaren Heiligen Franz und Klara von Assisi andererseits.
Die kürzeste der oft eher schmalen, sinnvoll langgezogenen Versstrecken, "ikarus", bringt eine poetische Motivation der Autorin auf den Punkt: "von der mutter / die schwerkraft / und das leben, / vom vater / die flügel / und den tod". Die Mutter scheint hier das Bessere zu geben. Aber was wäre, im übertragenen Sinne, ein Leben ohne Flügel? Ein Gedicht über die nachwirkende Prägung durch das Elternhaus ("hasen") endet mit der Feststellung: "seitdem schlendere ich, / fliege manchmal, / hüpfe."
Doch mit einem Fallen ("wir fielen wie fehler") ist dabei immer zu rechnen. Das Fallen, das Gefallene oder ganz allgemein das negativ wie positiv Geschehene wird lyrisch aufgehoben. In "kastanien", neben denen die Bielefelderin auch Enzian, Quitte und Christrose empfehlenswert betrachtet, "glänzen sie mir / entgegen überall: kastanien". Sie lösen "ketten, kaskaden / von erinnerungen" aus, "und noch immer / kommt das auflesen / nach dem fall".
Antje Doßmann, 1967 geboren, liest vieles auf, ob Momente der Berliner Kindheit, der Liebe ("schemen") oder der krisenhaften Zeit. Sie ruft auf, am Gräberfeld stellvertretend einem der Nächste zu sein, "der damals blieb / in der hölle von verdun". Die deutsche Inschrift über dem Tor von Auschwitz brennt "löcher in unsere / klopfende stirn". Bedrückt fühlt die lyrische Person, wie sie aus dem Navajo-Reservat "mit weißer haut / noch einmal / davonkam". Aspektreich behandelt die Poetin einige christliche Themen, ob in "maria magdalena", "advent" oder "apokalypse/zeitenwende".
Noch etwas Prominenz klingt an. In "einiges über quitten" werden, in Klammern, (Jürgen) "prochnow-narben" sichtbar. Und während die Autorin Auguste Rodin ein wenig über die Schulter in die Seele schaut, sieht sie vor allem Jean Baud ins Gemüt, während er für den "Denker" Modell sitzt, dem Preisboxer, der seinem eher kunstfernen Umfeld lieber nichts von seinen Erfahrungen im Atelier erzählte, auch nicht von der "heiligkeit, / an etwas zu glauben, / das allein durch den gedanken / siege vollbrachte - // sie hätten nur / dreckig darüber gelacht". Wir indes freuen uns über dieses Buch. |