Der Reiher und die Feuerlilien
Rolf Birkholz
Wolken, Wind und Mond tauchen signifikant häufig auf in diesen Gedichten. Wind ist zu spüren, Mond und Wolken sind zu sehen, zu fassen sind sie alle nicht recht. Der Mann im Mond bekommt ja äußerst selten Besuch. So "festgefroren hinter der haut aus eis ich / versuche die wolken zu trösten was / haben sie alles gesehen", beginnt "tagtätlich". Ingritt Sachses Gedichtband mir mein leben / meine farben ermischen fordert schon durch oft überraschenden Buchstabenaustausch oder Zeilensprung, besonders aufmerksam zu lesen. Die zitierten Verse geben eine Grundstimmung vor, dieses facettenreiche lyrische Ich verlangt unter erschwerten Bedingungen nach Gehör. Und obwohl jene drei Begriffe auf Flüchtiges oder weit Entferntes weisen und trotz des Untertitels gedichte für eine andere welt wird erkennbar, dass diese konzentrierte Seelenpoesie sich in einer durchaus mit Tagtäglichem kommunizierenden Innenwelt bewegt. Wenn es einmal heißt "geflogen komm ich wolkenweiß bin / eine maulwurfmöwe", steht dieses Wundertier für zu überbrückende Gegensätze und Verwandlungswünsche, die auch an anderen Stellen begegnen. Das spannt an, entspannt aber auch. Etwa, wenn das Subjekt in feinen Wellenlinien zu lesen versucht: "ich träume mich in sie hinein / bin / aufgehoben / in einem wassertropfen". Und im nächsten Gedicht ist es zunächst "aus allen träumen gefallen / in einen morgen wie wasser", zieht dann in ein Seeschneckenhaus, und "ohne die absicht den mond zu erreichen / bade ich / unter dem mond". Es sind "gedanken unter dünner haut wie / schaum die brandung offenbart", die Ingritt Sachse, geboren 1946, in diesem Band versammelt. Dabei mögen auch berufliche Erfahrungen der Psychotherapeutin eingeflossen sein. Manche Gedichte sind durch Gemälde von Paul Klee, Cy Twombly oder Frank Auerbach angeregt. Bei Letzterem werden ganz im Tenor dieser Lyrik "gesichter geschützt unter / bandagen zusammen gesetzt / von farbwickeln gehalten". In "spiegelungen", vielleicht das Schlüsselgedicht dieses Buchs, aber klärt sich plötzlich die Lage. Während Lilien im Morgenlicht, wie es scheint, Feuer gefangen haben und sich im Teich spiegeln, sitzt "bewegungslos ein reiher / wartet und lässt sich nicht / täuschen hat feuer gefangen / die feuerlilien im teich waren / goldene fische". Hier begegnen einander mustergültig menschliches Vermögen und tierisches Streben. Dieses bei Wind und Wolken so zu sehen, könnte schon die halbe Fahrt zum Mond sein.
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