Traditionelles Crossgender in Albanien
Miguel Peromingo
Elvira Dones entfloh der albanischen Diktatur seinerzeit in die Arme des kapitalistischen Washington, D.C., lebt heute jedoch in der Schweiz und schreibt auf Italienisch. Das Albanische hat sie in den letzten Jahren erst wiederentdeckt und mag mit der rasanten Entwicklung der Sprache seit dem Ende des Sozialismus kaum mithalten. "Es ist eine durchgedrehte Sprache", sagt sie im Interview. "Sie steht für das Land selbst und für seine Antreiber: Leidenschaft und Frustration." Diese Dichotomie treibt gleichsam die Protagonistin in Hana, und auch wenn Dones eine kosmopolitische Kulturschaffende ist, so wendet sie sich in diesem Roman einer uralbanischen Tradition zu.
Hana stammt aus den Bergen Nordalbaniens. In den 80er Jahren studiert sie in Tirana, kann sich aber nicht von ihren Wurzeln lossagen. Als ihr Onkel und Ersatzvater Gjergi ernsthaft erkrankt, beschließt sie, das Studium abzubrechen und ihn mit den kargen Mitteln des Hofs zu pflegen. Die Milch der Ziege reicht kaum als Grundnahrung, und Medikamente gibt es nur im Tal. Doch der Weg dorthin ist gefährlich, und als Hana unterwegs sexuell bedroht wird, hilft ihr nur ihr Messer. Daraufhin entscheidet sie sich, für den Rest ihres Daseins als Mann zu leben, wie dies der alte albanische Kodex "kanun" mit dem Ziel vorsieht, in ländlichen Regionen Albaniens fehlende männliche Familienoberhäupter zu ersetzen oder Schutz vor männlicher Aggression zu bieten. Der Kodex wird von den Dorfbewohnern respektiert, fordert aber eine komplette Aufgabe der Sexualität und ist irreversibel. Hana wird zu Mark und zieht sich zurück in eine selbstzerstörerische maskuline Welt, in der "die Luft nach Blei und Schnaps stinkt."
Schon diese radikale Entscheidung bildet eine lesenswerte Geschichte. Dones geht aber noch einen Schritt weiter: Mark wandert zu seiner Schwester Lila in die USA aus und versucht dort, wieder Hana zu werden. Das (Wieder-)Finden sexueller Identität wird somit auch zu einem Symbol kultureller Verortung. Die USA stehen hier für eine weitere rollenkonservative Welt, in der Albanern trotz Melting-Pot-Romantik lediglich die Rolle hart arbeitender Duckmäuser zugebilligt wird. Schwager Shtjëfen und Schwester Lila wirken gefangen in der amerikanischen Leitkonsumkultur. Hana wird als Freak willkommen geheißen, den es schnell und unauffällig zu integrieren gilt.
Dones interessierte sich bereits als Studentin in Tirana für die Menschen aus dem Norden des Landes, die auch im damaligen Albanien als Freaks galten und gleichzeitig vor der Kontrolle des kommunistischen Überwachungsstaats geschützt waren, weil Bergregionen als politisch unbedenklich galten. Dieser ausgiebig recherchierte Roman schlägt im Takt des journalistischen Herzens seiner Autorin und ist gleichzeitig ein melancholischer Abgesang an korsetthafte Lebenspläne und gesellschaftliche Unterdrückung. |