Am Erker 68

Anke Glasmacher: 'Brot und Spiele'

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Anke Glasmacher
Elif-Verlag

 
Rezensionen
Anke Glasmacher: Brot und Spiele
 

Die Bühne der Stadt
Rolf Birkholz

Nichts ist für die Ewigkeit gebaut. Auf einmal ist ein Haus abgerissen und bald schon die Lücke gefüllt. Eine Straße verändert unmerklich ihr Gesicht. Auch Gebäudefronten können wie Gesichter wirken: "aufmerksam blickt das haus / aus seinen offenen / fensterläden / lässt die tapete würdig fallen", beginnt Anke Glasmacher ihr Gedicht "Invalidenstraße" über den langsamen Verfall eines Hauses, bis nur noch "ein loch starrt in sich selbst".
In ihrem Band Brot und Spiele begibt sich die Autorin auf die Bühne der Stadt, meist in Berlin und New York, sieht im toten Stein noch Leben, während das städtische Personal oft erstarrt scheint. Sie hält flüchtige Begegnungen, Beobachtungen, Wahrnehmungen aus dem Augenwinkel schnappschussgleich fest.
In "Was bleibt" formuliert Anke Glasmacher, geboren 1969 im Bergischen Land, in Köln lebend, ihr Programm: "böll ist tot / und gott / und nietzsche sowieso //  ich  gehe auf die / straße und suche ein / gedicht // einen dichter nicht mehr". Hier hallt von fern der alte Hauswanddialog "'Gott ist tot (Nietzsche)' / 'Nietzsche ist tot (Gott)'" leise nach.
Graffiti und splitternder Rost kommen in den zumeist knappen Gedichten in den Blick, die S-Bahn zerreißt die Harmonien eines Akkordeon-Spielers, Ermüdungsmomente ("ich kann ruhleben nicht mehr hören"), Szenen in Bars und nächtliche Unruhe am Kollwitzplatz, den die Lyrikerin zwischen "alten gardinen" und "frisch tapeziert" inspiziert: "Und dann kommen die Touristen".
Doch "wie immer kommen die touristen zu spät" ("Paris Bar"). Anke Glasmacher will sie sowieso nicht bedienen. Sie sucht innezuhalten vorm Äußerlichen. In New York sieht sie die Fahrgäste der U-Bahn, "aufgereiht auf den bänken", als abgeschottete Einheit aus digitalen Solo-Verbindungen ("Living in the box"). In Lissabon erkennt sie "Zur Mittagszeit" den Zustand des Christentums. Nicht die Statue gleicht Jesus, sondern "steinern hebt der jesus / einer statue gleich / beide arme".
Darüber ließe sich eine dicke theologische Zeitanalyse schreiben. Anke Glasmacher genügen drei Zeilen, solche Perlen bringen ihr Debüt zum Funkeln.

 
Anke Glasmacher: Brot und Spiele. Urban Poems. 108 Seiten. Elif. Nettetal 2014. € 14,95.