Brot und Seele
Rolf Birkholz
Norbert Scheuer hat einen komplexen Blick auf die Dinge. Nach einer handwerklichen Ausbildung studierte er zwar auch Philosophie, ging aber stets einem technischen Brotberuf nach. Er "fuhr jeden Tag zur Arbeit/ schrieb nebenher Gedichte" heißt es gleich im ersten, dem Band Bis ich dies alles liebte vorangestellten Gedicht "Brot und Seele". Hier saß das lyrische Ich sicher mit im Abteil. Ein technisch genauer Blick, der sich nichts vormachen lässt, sich aber gleichzeitig poetischer Phantasie öffnet, zeichnet diesen Schriftsteller aus. Das hat er besonders in seinem beeindruckenden Roman Überm Rauschen vorgeführt. Damit hat Scheuer 2009 knapp den Deutschen Buchpreis verfehlt. So wurde der 1951 geborene, seiner Heimatregion in der Eifel auch im Schreiben stark verbundene Autor, der frühe Erzählungen im noch jungen Erker veröffentlichte, endlich einem größeren Publikum bekannt. Hier nun sind Gedichte aus dem längst vergriffenen Band Ein Echo von allem (1997) und neuere Sachen als Neue Heimatgedichte versammelt. Das Dorf, der ländliche Raum werden vermessen. Mal ruft sich der Autor Kindheitsbilder in Erinnerung, mal scheint er Fotos einer Dorfchronik zu betrachten, oder es schimmert Vergangenes durch Gegenwärtiges. In "Geschichte" findet sich zwischen dem "Glockengeläut der Mönche" ("früher gehörte das Dorf dem nahe gelegenen Kloster") am Anfang und den von Telegrafenarbeitern installierten "ersten Leitungen auf den Dächern" am Ende des Jahres mehr als nur ein dörflicher Jahreszyklus: eine allgemeingültige kulturgeschichtliche Skizze aus dem frühen 20. Jahrhundert. Keine Idyllen werden gemalt, das fügte sich nicht in "die Stille der Landschaft/ die dies ertrug", die kleinen Missbildungen und Abwege des Lebens, auf die Scheuer zuweilen schmerzlich direkt schaut. In "Vorfahren" nennt er die fremde Sprache der Urahnen "Worte/ die zu beschreiben versuchten/ was bleiben würde// Hügelgräber/ über denen Bussarde kreisen". Denn "nichts bleibt übrig/ alles bleibt wie es ist" ("Nichts"). Aber es geht auch um Geschichten, "die das Einzige sind/ was geblieben ist." Es sind freilich Dorfgaststättengeschichten, die bei Spaziergängen auf dem Friedhof zu hören sind, aus den Gräbern. Scheuers Verse muten gelegentlich wie trockene Aufzählungen, Zählungen an. Ihre versetzte Anordnung wirkt rhythmisierend, aber zuweilen auch etwas sperrig. Da und dort überrascht leise Lautmalerei. Oder eine berührend zurückhaltende, beiläufige Liebeserklärung ("Dass mir die Spinnen verzeihen"). Norbert Scheuers Bedenken gelten im Übrigen weniger dem Dorf als dem Leben an sich. Und vielleicht vermag er diesem am Ende doch in jenem am meisten abzugewinnen, wie es in "Etwas fehlt immer" anklingt: "ich dachte immer/ dass es woanders mehr gibt/ wenn ich zu den Sternen sah/ wusste ich nie/ ob ich fortgehen oder bleiben sollte es dauerte/ bis ich dies alles liebte." |