Am Erker 61

Karen Duve: Anständig essen

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Galiani Verlag
Karen Duve

 
Rezensionen
Karen Duve: Anständig essen
 

Von berühmten Tieren zum anonymen Tier
Anna Serafin und Andreas Heckmann

Schon vor ihrem ersten Romanerfolg erwies Karen Duve sich als Tierfreundin: 1997 hatten es ihr berühmte Tiere "aus Geschichte, Film, Märchen, Literatur und Mythologie" angetan, die sie mit Thies Völker in den 1200 Artikeln eines Lexikons versammelte. Vom Lindwurm bis Lassie, vom Ikea-Elch zum Buxtehuder Bullen war aufgeführt, was in der Mensch-Tier-Beziehung Rang und Namen hat, und natürlich kam das Unternehmen nicht ohne ironische Volten aus.
1999 dann trat das Tier im Regenroman vor allem im Modus des Schleimigen, Unheimlich-Bedrohlichen auf, was nicht zuletzt den Projektionen der von Angst und schlechter Laune geplagten Protagonisten zu danken war. Während ein Haus und eine Beziehung in einer peu-à-peu-Sintflut stringent versanken, blubberte und quakte es ringsum, was das Zeug hielt. O, schaurig wars, über dies Moor zu gehen.
Die folgenden Romane von Karen Duve gewährten anderen Obsessionen Raum: dem von Kindesbeinen an als hassenswert empfundenen, dicken, plumpen Körper, der der Heldin in Dies ist kein Liebeslied fortwährend in die Parade fährt, und der totalen Passivität von Taxi, wo eine Nachttaxlerin sich von Schicht zu Schicht treiben lässt und damit mal eben ein Jahrzehnt rumbringt. Beide Bücher faszinieren durch ihre Fixierung aufs Autoaggressive, und lesend mag man sich vorkommen, als stünde man wie gebannt vorm Spiegel und könnte nicht aufhören, seine Mitesser auszudrücken.
In ihrem neuen Buch Anständig essen kehrt Karen Duve zu den Tieren zurück, denen sie all die Jahre an diversen ländlichen Wohnorten in Schleswig-Holstein und Brandenburg als Reiterin und Hunde-, Katzen-, Hühnerhalterin Treue bewiesen hat. In diesem "Selbstversuch" allerdings wagt sie etwas für ihr Schreiben Untypisches: Sie gibt den kühlen Blick auf, der ihr so intime Ansichten in die Unzulänglichkeit des Menschen eröffnete, und erlaubt sich Parteinahme für die Tiere und für diejenigen, die für die Tiere Partei ergreifen.
Dass es sich dabei nicht um Trittbrettfahrerei handelt - man denke an den Erfolg von Eating Animals von Jonathan Safran Foer (2009, deutsch 2010) -, dafür sorgt schon das Programm, das Duve sich auferlegt. Sie trägt nicht etwa philosophische Argumente für den respektvollen Umgang mit Tieren zusammen (wie dies zum Beispiel J.M. Coetzee in Elizabeth Costello getan hat), sondern beschließt Ende 2009 - angespornt von ihrer Freundin Kerstin, die im Text als Jiminy Grille (das Gewissen Pinocchios und schon im Lexikon berühmter Tiere vertreten) auftaucht -, durch Änderung ihrer Ernährungsgewohnheiten stufenweise zu einem bewussteren Umgang mit Lebensmitteln zu gelangen. In Zweimonatsschritten stellt sie ihre Ernährung erst auf Bio-Erzeugnisse, dann auf vegetarische, auf vegane (d.h. tierproduktfreie), schließlich auf frutarische Kost um, isst mithin nur noch die Teile, die die Pflanze überleben lassen, also Äpfel und Erbsen, jedoch weder Kartoffeln noch Möhren, wohl aber Getreide, weil die Halme ohnehin verdorren.
Indem Duve selbst die Probe aufs Exempel macht, umschifft sie die Klippe, die das Reden über verantwortungsvolle Ernährung so schwierig macht: Ideologisches Dozieren nämlich verleidet es Konsumenten, Überlegungen von gemäßigten Vegetariern, die mitunter bei Biohackfleisch schwach werden, oder von Kohlrabi-Aposteln und Rohkost-Gurus ernst zu nehmen.
Duve hingegen berichtet nicht nur über ihre Gelüste, Anfechtungen und Rückfälle, sondern referiert so manchen Esoterik-Quatsch und manche Spinnerei und macht sich gebührlich darüber lustig. Dies und die Tatsache, dass sie ihr Ernährungsexperiment durchgängig in die Beschreibung ihres Alltags als Schriftstellerin sowie als Teilzeit-Dorf- und -Berlin-Bewohnerin integriert, bewahrt sie davor, sich aufs hohe moralische Ross zu setzen, und ermöglicht ihr stattdessen, auch ihren Unwillen, sich mit so unangenehmen Dingen wie Massentierhaltung zu befassen, glaubwürdig zu vermitteln. Die Berichte aus ihrem Alltag (dem Alltag einer Frau, die ihren Hund einschläfern lassen muss, die sich mit Jiminy/Kerstin manchen Disput liefert und die keinen Kaffee mag und deshalb literweise Cola Light trinkt, weil die sich durch Öko-Plörre nicht ersetzen lässt) vermitteln umgekehrt die Erkenntnis, dass Essverhalten, wenn man es auf den Prüfstand eines respektvollen Umgangs mit dem Leben stellt, erhebliche Sprengkraft für den Einzelnen wie die Gesellschaft birgt.
Das wird besonders deutlich, wenn Duve von Tierbefreiungsaktionen berichtet, an denen sie teilnimmt und bei denen stets nur wenige Hühner von Aktivisten aus Großstallungen gerettet und an Freunde und Bekannte in artgerechte Haltung vermittelt werden. Diese Aktionen nimmt sie zum Anlass, die Aporien selbst der Freilandhaltung zu zeigen: Da Hühner hackend Rangordnungen bilden, Gruppen von über dreihundert Tieren aber viel zu groß sind, als dass sich stabile Rangordnungen etablieren ließen, hacken die Vögel auch in ökologisch mustergültigen Betrieben dauernd aufeinander ein und sehen gegen Ende ihres kurzen Lebens entsprechend furchtbar aus.
Das Stufenkonzept der Darstellung führt dazu, dass wir Duve bei einer Expedition in ihr neue und stets fremdere Länder begleiten, auch wenn es mitunter bloß um Profanes wie die Tücken des Biosiegels, um Paprika-Streich und veganes Katzenfutter geht (das die Tiere verschmähen). Zweimonatlich aber steigern sich nicht nur Duves Anforderungen an ihre Ernährungspraxis: Es steigert sich auch ihr Wissen um die Grausamkeit der Massentierhaltung und um den Wahnsinn eines fast ungebremsten Konsums von Fleisch und Tierprodukten bei weltweiter Vernetzung einer auf Tierleid gegründeten Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie, und wir Leser - längst zu teilnehmenden Beobachtern dieser spannenden Reise geworden - kommen kaum umhin, die Welt mit den Augen der Expeditionsleiterin zu sehen: ein bravouröser Kunstgriff, der Furcht und Mitleid weckt.

 

Karen Duve: Anständig essen. Ein Selbstversuch. 335 Seiten. Galiani, Berlin 2011. 19,95 €.