Das kommunikative Rauschen der Krise
Matthias Hofmann
Kathrin Rögglas die alarmbereiten ist eigentlich nur die redigierte Neuzusammenstellung eines Hörspiels, das 2009 vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt wurde. Röggla entzieht sich darin durchgängig den klassischen Anforderungen des Genres Hörspiel, indem sie Situationen und Aussagen fast durchgängig in indirekter Rede präsentiert. In sieben situativen Splittern arbeitet sie sich durch Ausnahmesituationen und ihre meist mediale Aufbereitung. Da sind die Katastrophentouristen, die auf Plünderungen nach einem nicht näher beschriebenen Unglück warten; da ist die mit den Verseuchungsängsten einer Anruferin konfrontierte Frau am Nottelefon; der Coach, der sich mit den Tiraden eines frustrierten Finanzmarktakteurs auseinandersetzen muss; die Mutter, die ihr angeblich problematisches Kind auf einem Elternabend verteidigen soll; die Reporterin, die laut ihrem Kollegen den Sinn fürs Wesentliche ihrer Kriegsgeschichten verloren hat; das befreite Entführungsopfer, das sich mit absurden Ansprüchen neuer Bekannter auseinandersetzen muss.
Unbedachte Sprechblasen prägen den Text, Phrasenfetzen, ein unablässiges Rauschen hinter der Glasscheibe der indirekten Rede.
Konsequenterweise gibt es keine Großschreibung. Alles wird zum gleich gewichteten Aussagebrei: Thesen, Erlebnisse, Vorwürfe. Dieser Brei ist die soziale Einbettung der Betroffenen, die nie selbst agieren. Hier werden Szenen aufgebaut, die stets mehr über das unreflektierte Publikum sagen als über die Akteure bzw. Opfer. Röggla zeigt uns nur die kommunikativen Reaktionen rund um das Zentrum der Krise, der Katastrophe. Die Betroffenen kommen nicht zu Wort, weder im eigentlichen Textkorpus noch – wie von Kapitel zu Kapitel deutlicher wird - in der Auseinandersetzung mit den Anderen, dem Publikum. Sie sind Opfer des Umgangs Dritter mit der Krise. Es geht um ein alarmbereites Publikum, das zwar Aufmerksamkeit für die Probleme zeigt, aber nicht zuhört. Röggla führt eine medial getriebene Form der Alarmbereitschaft vor, eine Aufmerksamkeit ohne Verstehen, ohne echte Kommunikation. Das Publikum als Verstärker, als Wiederkäuer der ihm selbst nur vermittelten Krise.
Überhaupt die Aufmerksamkeitsökonomie: Hier werden Erfahrungen mit den Medien, mit den Mechanismen in den Redaktionen, mit journalistischen Arbeitsweisen gespiegelt. Das Thema taucht quer durch die einzelnen Situationen auf, wenn beispielsweise der Kollege der Kriegsjournalistin den Verlust einer verwertbaren Figur für einen gemeinsamen Artikel nicht fassen kann: "schön und gut, habe er sich gesagt, nur: ich werde den doch nicht umsonst kennengelernt haben? ich machte doch nie etwas umsonst. wo ich was investierte, da solle auch was bei rauskommen, ich würde doch auch niemals wege doppelt ablaufen, gespräche ineffizient führen. wo ich meine aufmerksamkeitsenergie reinsteckte, da wolle ich sozusagen zinsen sehen, aufmerksamkeitszinsen." Oder wenn der falsche Freund des Entführungsopfers, ein "möchtegern-journalist", seiner Enttäuschung über das Fehlen einer verwertbaren Story freien Lauf lässt: "also er bezweifle, dass ich die lukrative geldanlage geworden sei, die man sich versprochen habe, weil, so was wie eine lukrative geldanlage hätte ich schon werden sollen, würden sich viele sagen, wo man doch soviel in mich hineingesteckt habe. all die gratisarbeiten, die für mich gemacht worden seien, all die aufmerksamkeitsleistungen, zuhörleistungen, die sollten natürlich schon irgendwie zinsen bringen." Aufmerksamkeit als Investition, als Ware, die Rendite abwerfen muss: eine Haltung als Objektivierungsbewegung gegenüber dem Opfer. Die Akteure hinter den Texten finden sich in Diskursen wieder, deren Objekt sie sind – Quelle und Gefangene der Alarmbereitschaft, abgeschlossen von einer Form von Sozialität, die ihnen die Möglichkeit zum Handeln, zu Alternativen offenlässt. Die Alarmierten, die von der Katastrophe Faszinierten oder Berührten, die Profiteure blicken auf Betroffene und Täter und verlängern damit die katastrophische Situation. Hier werden massive Erwartungen formuliert, aber auch immer wieder die Enttäuschung, die Fassungslosigkeit, wenn das Handeln derer, die im Zentrum des Geschehens stehen, diesen Erwartungen nicht entspricht.
Kathrin Röggla, selbst ein Kind des Krisenjahrzehnts von 1980 bis 1990, hat genau zugehört. Sie liefert eine pointiert verdichtete Collage dessen, was rund um die Krise vom Publikum produziert und konsumiert wird. So gesehen enttäuscht sie den Leser. Es gibt keine farbig geschilderten Katastrophen, keine Dramen, keine Opfer, die leiden oder spektakulär agieren. Und genau darin liegt die Stärke der Texte. Sie zeigen die soziale Einbettung der Krise, das Begleitrauschen jenseits der Reflexion und der unverstellten Anteilnahme. |