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Diogenes
Robert Walser
Oktober Verlag
Martin Jürgens

 
Rezensionen

Jürg Amann, Martin Jürgens: über Robert Walser
 

Sanft und hartnäckig
Joachim Feldmann

Einst empfahl ein mittlerweile längst im verdienten Ruhestand sich befindender Mitarbeiter einer münsterschen Buchhandlung einem jungen Mann den Roman Geschwister Tanner von Robert Walser. Wer das Buch gelesen hat, dem wird sicherlich die Anfangsszene im Gedächtnis geblieben sein, in der erzählt wird, wie sich der stellungsuchende Simon Tanner in einer Buchhandlung als geborener Verkäufer präsentiert. Auf eben diese Passage verweisend, prophezeite der Buchhändler seinem Kunden, dass ihn jede Robert-Walser-Lektüre künftig an ihn erinnern werde. Und er sollte Recht behalten. Selbst mir, der diese Geschichte nur erzählt bekommen hat, fällt sie immer wieder ein, wenn von dem eigensinnigen Dichter die Rede ist. Denn jene Ausgabe der Geschwister Tanner aus der Bibliothek Suhrkamp ging zusammen mit anderen Büchern Walsers in meinen Besitz über, als sich unser Herr Gier - denn von keinem anderen als dem langjährigen Redakteur und jetzigen Layouter von Am Erker ist hier die Rede - entschloss, sich eine Gesamtausgabe zuzulegen.
Die erste Begegnung mit Robert Walser eignet sich offenbar dazu, als fester Bestandteil einer Lesebiographie erinnert zu werden, ein Effekt, der vielleicht nur noch der kindlichen Karl-May-Lektüre oder dem jugendlichen Kontakt mit der Welt Franz Kafkas zu vergleichen ist.
Für Martin Jürgens war es ein Bändchen mit Walserscher Prosa, das ihn veranlasste, sein geplantes Promotionsvorhaben über Alfred Döblins Wallenstein aufzugeben und sich dem Werk des sonderbaren Schweizers zu widmen, das damals, Ende der sechziger Jahre, nahezu völlig in Vergessenheit geraten war. Der 1973 erschienenen Dissertation Robert Walser. Die Krise der Darstellbarkeit folgte bis heute eine ganze Reihe von Aufsätzen, die dokumentieren, dass dieser Schriftsteller nicht zum kurzfristigen Erwerb akademischer Meriten taugt. Will sagen: Wer sich einmal mit Robert Walser einlässt, wird ihn so leicht nicht wieder los. "Elf Versuche zu Robert Walser" aus den Jahren 1972 bis 2005 hat Martin Jürgens nun unter dem schönen Titel Seine Kunst zu zögern in einem kleinen Broschurband versammelt. Vom biographischen Abriss bis hin zur konzentrierten Textanalyse lesen sich diese Arbeiten als erhellende Kommentare zu Leben und Werk eines Autors, an dessen Eigenart das gewöhnliche philologische Besteck leicht stumpf zu werden droht. Selbstironisch demonstriert Jürgens in seinem Vorwort, wie bedrohlich selbst vom emanzipatorischen Geist der frühen siebziger Jahre beseelte Germanistenprosa wirken kann, um dann in den jüngsten Beiträgen des Bandes den ästhetischen Mehrwert von Walsers Texten nicht nur zu behaupten, sondern als Lesegenuss spürbar zu machen.
Sehr einfühlsam nähert sich auch Jürg Amann dem Autor. Sein sensibler biographischer Essay bildet das Herzstück eines repräsentativen Bandes, der neben Zitaten aus Walsers Werken und einer Lebenschronik vor allem Fotos und Bilddokumente bringt. Also weniger ein Lese- als ein üppiges Bilderbuch, das fast ein wenig überdimensioniert wirkt, denkt man an Walsers Neigung, sich eher klein zu machen. Dass diese nicht unbedingt einem unterentwickelten Selbstbewusstsein entsprang, soll zum Ende ein Briefzitat zeigen, in dem er die Ablehnung eines Auftrags der Neuen Zürcher Zeitung, des "berühmten Käseblatts", kommentiert. "(...) da ich im Moment Moneten habe und bei der Zürcher Zeitung die Moneten maßgebend sind, so orientiere ich mich ja Neue Zürcher-Zeitungsmäßig, wenn meine Haltung sich auf das Besitztum stützt, als daß ich dem Ruf der Idealität gehorchte, auf den in Zürich kein Mensch, der gesunden Gegenwartssinn besitzt, aufmerkt. Wohl weiß ich, daß mich zürcherische und andere gescheite Herrschaften sehr gern als Hirtenknaben, als träumerischen Weltentfremdeten auffassen und nehmen möchten, wogegen mir aber die Ausschließlichkeit einer solchen Dummkopfsrolle keineswegs paßt, zu der die nötigen Grundlagen in mir übrigens absolut fehlen."

 

Jürg Amann: Robert Walser. Eine literarische Biographie in Texten und Bildern. 176 Seiten. Diogenes. Zürich 2006. € 29,90.

Martin Jürgens: Seine Kunst zu zögern. Elf Versuche zu Robert Walser. 160 Seiten. Oktober. Münster 2006. € 14,00.