Sanft und hartnäckig
Joachim Feldmann
Einst empfahl ein mittlerweile längst im
verdienten Ruhestand sich befindender Mitarbeiter einer münsterschen
Buchhandlung einem jungen Mann den Roman Geschwister Tanner
von Robert Walser. Wer das Buch gelesen hat, dem wird sicherlich
die Anfangsszene im Gedächtnis geblieben sein, in der erzählt
wird, wie sich der stellungsuchende Simon Tanner in einer Buchhandlung
als geborener Verkäufer präsentiert. Auf eben diese
Passage verweisend, prophezeite der Buchhändler seinem Kunden,
dass ihn jede Robert-Walser-Lektüre künftig an ihn erinnern
werde. Und er sollte Recht behalten. Selbst mir, der diese Geschichte
nur erzählt bekommen hat, fällt sie immer wieder ein,
wenn von dem eigensinnigen Dichter die Rede ist. Denn jene Ausgabe
der Geschwister Tanner aus der Bibliothek Suhrkamp ging
zusammen mit anderen Büchern Walsers in meinen Besitz über,
als sich unser Herr Gier - denn von keinem anderen als dem langjährigen
Redakteur und jetzigen Layouter von Am Erker ist hier die
Rede - entschloss, sich eine Gesamtausgabe zuzulegen.
Die erste Begegnung mit Robert Walser eignet sich offenbar dazu,
als fester Bestandteil einer Lesebiographie erinnert zu werden,
ein Effekt, der vielleicht nur noch der kindlichen Karl-May-Lektüre
oder dem jugendlichen Kontakt mit der Welt Franz Kafkas zu vergleichen
ist.
Für Martin Jürgens war es ein Bändchen mit Walserscher
Prosa, das ihn veranlasste, sein geplantes Promotionsvorhaben
über Alfred Döblins Wallenstein aufzugeben und
sich dem Werk des sonderbaren Schweizers zu widmen, das damals,
Ende der sechziger Jahre, nahezu völlig in Vergessenheit
geraten war. Der 1973 erschienenen Dissertation Robert Walser.
Die Krise der Darstellbarkeit folgte bis heute eine ganze
Reihe von Aufsätzen, die dokumentieren, dass dieser Schriftsteller
nicht zum kurzfristigen Erwerb akademischer Meriten taugt. Will
sagen: Wer sich einmal mit Robert Walser einlässt, wird ihn
so leicht nicht wieder los. "Elf Versuche zu Robert Walser"
aus den Jahren 1972 bis 2005 hat Martin Jürgens nun unter
dem schönen Titel Seine Kunst zu zögern in einem
kleinen Broschurband versammelt. Vom biographischen Abriss bis
hin zur konzentrierten Textanalyse lesen sich diese Arbeiten als
erhellende Kommentare zu Leben und Werk eines Autors, an dessen
Eigenart das gewöhnliche philologische Besteck leicht stumpf
zu werden droht. Selbstironisch demonstriert Jürgens in seinem
Vorwort, wie bedrohlich selbst vom emanzipatorischen Geist der
frühen siebziger Jahre beseelte Germanistenprosa wirken kann,
um dann in den jüngsten Beiträgen des Bandes den ästhetischen
Mehrwert von Walsers Texten nicht nur zu behaupten, sondern als
Lesegenuss spürbar zu machen.
Sehr einfühlsam nähert sich auch Jürg Amann dem
Autor. Sein sensibler biographischer Essay bildet das Herzstück
eines repräsentativen Bandes, der neben Zitaten aus Walsers
Werken und einer Lebenschronik vor allem Fotos und Bilddokumente
bringt. Also weniger ein Lese- als ein üppiges Bilderbuch,
das fast ein wenig überdimensioniert wirkt, denkt man an
Walsers Neigung, sich eher klein zu machen. Dass diese nicht unbedingt
einem unterentwickelten Selbstbewusstsein entsprang, soll zum
Ende ein Briefzitat zeigen, in dem er die Ablehnung eines Auftrags
der Neuen Zürcher Zeitung, des "berühmten Käseblatts",
kommentiert. "(...) da ich im Moment Moneten habe und bei
der Zürcher Zeitung die Moneten maßgebend sind, so
orientiere ich mich ja Neue Zürcher-Zeitungsmäßig,
wenn meine Haltung sich auf das Besitztum stützt, als daß
ich dem Ruf der Idealität gehorchte, auf den in Zürich
kein Mensch, der gesunden Gegenwartssinn besitzt, aufmerkt. Wohl
weiß ich, daß mich zürcherische und andere gescheite
Herrschaften sehr gern als Hirtenknaben, als träumerischen
Weltentfremdeten auffassen und nehmen möchten, wogegen mir
aber die Ausschließlichkeit einer solchen Dummkopfsrolle
keineswegs paßt, zu der die nötigen Grundlagen in mir
übrigens absolut fehlen."
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