Die Gebote Allahs
Frank Lingnau
Er wolle zukünftig nicht mehr herumkaspern,
sondern atmosphärisch dichte Geschichten erzählen, hatte
Feridun Zaimoglu viel versprechend im Erker-Interview (Nr.
46) formuliert. Tatsächlich scheint er seine Ankündigung
wahr gemacht zu haben: Zwölf Gramm Glück, sein
neuer Band mit Erzählungen, präsentiert Zaimoglu fast
zehn Jahre nach seinem Erstling Kanak Sprak als einen Autor,
der die provokanten Posen zugunsten einer erzählerischen
Solidität abgelegt hat.
Zaimoglus Welt ist, folgt man seiner Kapiteleinteilung, zweigeteilt:
Einem so genannten "Diesseits" (sieben Geschichten)
steht ein "Jenseits" (fünf Erzählungen) gegenüber,
den großstädtischen Milieus des Okzidents (Deutschland)
folgt der Orient mit fast archaisch anmutenden Lebensbereichen.
Doch trotz dieser geografischen Trennung erscheinen in Zaimoglus
Geschichten ein fundamentaler Gottesglaube und archaische Sitten
auch als Teil der westlichen Wirklichkeit.
Was die Texte neben diesen Leitmotiven und dem Thema Liebe verbindet,
ist die Erzählform: Stets spricht ein männlicher Ich-Erzähler
- wie der Schriftsteller in "Gottesanrufung I", der
von seinem Freund Osman in einem Kreuzberger Cafe gebeten wird,
für dessen Cousine, einer streng gläubigen Muslimin,
einen Brief an ihren Auserwählten zu schreiben. Der Brief
dürfe aber, habe seine Cousine erklärt, gemäß
den Geboten Allahs nicht die Begierde des jungen Mannes wecken,
solle ihn aber dennoch "verhexen". Wie widersinnig dieser
Wunsch der Cousine ist, wird von dem Erzähler in dem Gespräch
schonungslos entlarvt.
Die Suche der Migranten der dritten Generation nach einer eigenen
Identität zwischen Tradition und Moderne, zwischen alten,
religiösen Bindungen und den individuellen Bedürfnissen
- diese Suche und die daraus resultierenden Konflikte war schon
immer Zaimoglus Thema. Was sich verändert hat, ist der Ton
seiner Texte: Er ist unaufgeregter, unprätentiöser geworden.
Die Erzählungen aus dem Kapitel "Jenseits" vermitteln
eine fremde, irritierende Welt, in der Tötungsrituale, rätselhafte
Dorfsitten oder die Versprechungen falscher Propheten Abgründe
dieser Kulturen erkennen lassen. Dabei ist Zaimoglu nie vordergründig
anklagend. Was diese Texte auszeichnet, ist vor allem die erzählerische
Intensität.
Das gilt im Besonderen für "Häute", den Text,
mit dem das zweite Kapitel beginnt und für den er beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Zaimoglu erzählt
von dem Besuch eines Arztes, eines "Auswärtigen",
bei einem Antiquar in einem anatolischen Dorf, von dem er ein
Hochzeitslaken mit Entjungferungsblut erwerben möchte. Nachdem
sich der Preis für den Fremden als zu hoch erwiesen hat,
feilschen der Antiquar und seine Frau, die Patronin, schließlich
um die Haut ihrer vierzehnjährigen Enkelin; sie bieten das
Mädchen dem Mann an. Die Enkelin wird zur Ware: "Wenn
du mich zur Frau nimmst, sagt das Mädchen, bin ich deine
Frau und du kannst mich in Maßen schlagen und züchtigen,
falls ich gegen deine Hausgesetze verstoße, nur, du musst
sie mir erst beibringen, dann halte ich deinen Familiennamen auch
in Ehren." Noch bevor der Fremde sich mit diesem Angebot
auseinander setzen kann, wird er von einem "Steinbrecher",
der imstande wäre, "mit einem einzigen Fausthieb zu
töten", bedroht: Er habe ein älteres Recht an dem
Mädchen. Dem Fremden bleibt nur noch die Flucht: "Und
wie ich mein Glück an solchen Tagen kenne, wird mich kein
Stein aus einer Zwille treffen noch kein Hund anfallen."
Er wolle, so hatte Zaimoglu im Erker-Interview
erklärt, an die Tradition der Geschichtenerzähler anknüpfen,
denn davon habe es in seiner Familie viele gegeben. Mit diesen
zwölf Erzählungen ist ihm dies eindrucksvoll gelungen.
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