Bunte Kanaillienvögel
Tobias Lehmkuhl
Auf dem Umschlag ein grünstichiges Schwarz-Weiß
Bild: ein junger, hübscher Mann, ein Mann von Geschmack.
Er ist Kunstkenner, Kunstkritiker. Und er ist Dichter, fünfzig
Jahre später der vielleicht bedeutendste Amerikas. Seit langem
schon widmen Größen der amerikanischen Literaturkritik
ihm ausführliche Aufsätze und ganze Bücher. Und
auch in Deutschland ist er präsent: Für viele jüngere
Dichter hier hat er Vorbildfunktion, und vier Bücher mit
Übersetzungen sind bereits erschienen - was nur wenigen lebenden
ausländischen Dichtern widerfahren ist. Jetzt liegt mit Mädchen
auf der Flucht ein fünfter Band mit Gedichten von John
Ashbery vor, eine Auswahl aus seinem inzwischen recht umfangreichen
Werk, übersetzt von Erwin Einziger, Matthias Göritz,
Durs Grünbein, Michael Krüger, Klaus Reichert und Joachim
Sartorius. Eine Reihe der Übersetzungen ist den zuvor bei
Hanser und im Residenz Verlag erschienenen Bänden entnommen,
und es lässt sich über die Zusammenstellung von Mädchen
auf der Flucht streiten, doch man muss dem Verlag dankbar
sein, dass er sich nicht nur ein Buch mit Übersetzungen geleistet,
sondern auch die Originalversionen mit aufgenommen hat, denn so
kann man sich am echten Ashbery erfreuen. Selbst bei schwachen
Englischkenntnissen ist man seinen Gedichten auf diese Weise näher,
als wenn man die Übersetzungen liest. "Ich benutze Worte
auf eine sehr präzise Weise: Sie bedeuten genau das, was
sie beinhalten, und nicht etwas Paralleles und nicht etwas, das
paraphrasiert werden kann." So zitiert der Herausgeber Joachim
Sartorius den Dichter in seinem Nachwort. Zwar lässt sich
nie "genau" sagen, was Wörter beinhalten, aber
gerade eine Übersetzung sollte sich um Präzision bemühen,
nicht nur etwas Paralleles versuchen oder das Original gar paraphrasieren.
Ashbery sagt es selbst: Mit Interpretation kommt man bei ihm nicht
weit, wäre also nicht schlecht beraten, sich an offenkundige
Wortbedeutungen zu halten. "So suchen wir vergeblich nach
einem Thema, einer Intention, einer wie auch immer verqueren Logik,
wir suchen nach einer Metapher oder wenigstens nach ihrer Zertrümmerung.
Aber nichts von alldem wird bei Ashbery geboten." So beschrieb
der Dichter Ulrich Beil vor einigen Jahren das Besondere und Irritierende
an Ashberys Gedichten.
Man kann es als Scherz des Druckers auffassen, wenn "canaries"
sich in der Übersetzung in "Kanaillienvögel"
(sic!) verwandeln. Anders aber ist es, wenn aus dem Vergleich
"like a searchlight", ein zwar elegantes, aber der Schlichtheit
dieser Wendung absolut nicht entsprechendes "in Suchscheinwerferart"
wird. Geradezu rätselhaft ist die Übersetzung von "sheet
of time" als "Weiße der Zeit", und wirklich
obskur wird es, wenn die "wedding-cake drawbridge" nur
als "verschnörkelte Zugbrücke" den Weg ins
Deutsche schafft. Hässlich schließlich der völlige
Fehlgriff im Register: Ein lapidares "Only I say" liest
sich auf der gegenüberliegenden Seite als raunendes "Wisse".
Wenn dann "rock" im selben Gedicht einmal mit "Gestein",
einmal mit dem unmöglichen "Gefels" übersetzt
wird, überlegt man ernsthaft, ob so etwas nicht strafbar
sein sollte. Dagegen fällt die Ignoranz, "excellent"
in völliger Verkennung ästhetischer Theorie (Ashbery
kennt die sehr gut!) mit "erhaben" wiederzugeben, kaum
mehr ins Gewicht. Von der Art, wie die meisten Übersetzer
hier mit Rhythmus umgehen, sprechen wir lieber nicht. Auch nicht
von Konjunktivverrenkungen oder anderen grammatikalischen Katastrophen.
Eine Ausnahme lässt sich leider nicht hervorheben, ja, eine
ausgeprägte Übersetzerstimme wird gar nicht hörbar,
da der Raum zu knapp bemessen ist, als das einer der Übersetzer
seine Ashbery-Lesart wirklich entfalten könnte. Eine einheitliche
Übersetzung, sei sie auch mittelmäßig, wäre
allemal von Vorteil gewesen. So bleibt es dem Leser überlassen,
zum Wörterbuch zu greifen und seinen Ashbery auf den Seiten
mit den geraden Ziffern zu entdecken. Es lohnt sich.
|