Am Erker 42

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Markus Orths

 
Rezensionen

Markus Orths: Wer geht wo hinterm Sarg?
 

Abgründe des Alltags
Joachim Feldmann

Wenn im ersten Satz einer Geschichte etwas aus einer Ritze im Parkett krabbelt, weiß der Leser schon, daß es hier nicht um einen Fall geht, den der Einsatz eines Kammerjägers lösen könnte. Die Käferplage, die eine junge Frau in der frischbezogenen Wohnung heimsucht, ist von anderer Natur. Sie zeugt vom Tod, der in diesen Wänden zu Hause war, und läßt sich nicht mit Hilfe von "Pulver, Kügelchen, Sprühzeug" bekämpfen.
In einer anderen Geschichte wird der Erzähler daran gehindert, ein länger gehegtes Vorhaben in die Tat umzusetzen. Worum es sich dabei handelt, erfahren wir nicht. Stattdessen werden die Umstände, die ihn von der Durchführung seines Plans abhalten, minutiös geschildert, und es ist ziemlich wahrscheinlich, daß es sich hier um Dinge handelt, die sich ausschließlich im Kopf des Protagonisten abspielen. Obwohl, sicher ist auch das nicht. Am Ende der Geschichte weiß der Erzähler selbst nicht mehr, was es eigentlich war, das er an diesem Tag hatte tun wollen.
In den Geschichten, die der 1969 geborene Autor Markus Orths unter dem Titel Wer geht wo hinterm Sarg? vorgelegt hat, geht es selten mit rechten Dingen zu. Das Unheimliche nistet in den Ritzen unseres Alltagslebens wie die Käfer im Parkettfußboden. Gewöhnliche Verrichtungen bekommen groteske Dimensionen, und das Phantastische steht gleichberechtigt neben dem Gewöhnlichen.
Orths ist ein Erzähler, der sich daran gemacht hat, die Abgründe des menschlichen Bewußtseins sprachlich auszuloten, ohne dabei wie die alten Recken der literarischen Moderne eine möglichst genaue Abbildung mentaler Vorgänge anzustreben. Hier regiert, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Sprache souverän ihren Gegenstand. Unheimlich ist das Dargestellte und nicht die Darstellungsweise. Ein solches Erzählen hat nichts mit dem Raunen gängiger Schauergeschichten zu tun, sondern steht in einer langen, ehrenwerten Tradition, die mit der Geschichte von der Verwandlung des Handelsreisenden Gregor Samsa einen ihrer Höhepunkte erreicht hat. Manchmal meint man sogar, in Orths' Geschichten wie von Ferne die Stimme Kafkas zu vernehmen, ohne daß sie dadurch epigonal wirkten. Diese Erzählsammlung ist das außergewöhnliche Debüt eines traditionsbewußten, aber durchaus eigenständigen Autors. Man sollte es nicht verpassen.

 

Markus Orths: Wer geht wo hinterm Sarg? Erzählungen. 160 Seiten. Schöffling & Co. Frankfurt am Main 2001. 29,80 DM.