Von Schiffen und Bärten
Johannes Vierfrucht
Unser Küchenchef Kasimir kann ziemlich gehässig
sein. Im Moment trage ich das Objekt seines Spotts im Gesicht
herum. Ja, ich beabsichtige, mir einen Vollbart wachsen zu lassen.
Leider sprießt mein Barthaar nicht halb so üppig, wie
es nötig wäre, weshalb mir ständig unerwünschte
Tips wie, es doch einmal mit Ziegenmist und Honig als Hilfsmittel
zu versuchen, zuteil werden.
Die andere Quelle meiner Trübsal ist die Tatsache, daß
es mir die übermäßige Dampfentwicklung in unserer
Küche zunehmend unmöglich macht, in den kurz bemessenen
Pausen, bevor ein neuer Stapel verschmutzten Geschirrs in unserer
gigantischen Spülmaschine verstaut werden muß, meiner
Lektüre zu frönen. So sieht mein neuer Band aus der
"Anderen Bibliothek", trotzdem ich ihn sorgsam in Plastikfolie
eingeschlagen habe, mittlerweile schon ziemlich mitgenommen aus.
Der Block ist verzogen, das Papier beginnt sich kriminell zu wellen,
und auf der letzten Seite befindet sich ein unschöner Fleck.
Glücklicherweise handelt es sich um ein solide gebundenes
Buch, sonst hätten sich bestimmt schon einige Seiten gelöst.
Aber warum setze ich diesen prachtvollen Leinenband, der mich
überdies einen halben Tageslohn gekostet hat, überhaupt
den Gefahren des Großküchenbetriebs im Ausflugslokal
der Geschwister Erlanger aus? Was treibt mich zu solchem Tun,
für das ein Attribut wie "unvernünftig" noch
geschmeichelt wäre? Nun, ich bin eben rettungslos den Abenteuern
eines jungen Mannes namens Theodor Lerner verfallen, von denen
der von mir seit langem geschätzte Autor Martin Mosebach
in seinem neuen Roman Der Nebelfürst zu berichten
weiß. Besagter Lerner nämlich hat seine journalistische
Karriere zwar gründlich verpatzt, doch dafür die Chance
eines aberwitzigen Unternehmens geboten bekommen. Er wird zum
Anführer einer Expedition zur Annektierung einer arktischen
Insel. Nun merkt der Leser, im Unterschied zum ahnungslosen Helden,
recht bald, daß hier um ein ausgefuchster Schwindel eingefädelt
wird, doch dieser Umstand steigert nur das Vergnügen an diesem
ebenso spannenden wie humorvollen Roman, der auf einer offenbar
authentischen Episode der deutschen Kolonialgeschichte gegen Ende
des 19 Jahrhunderts basiert. Und weil wir uns eben im Kaiserreich
befinden, sind beinahe sämtliche männlichen Protagonisten
mit erstaunlichen Bärten gesegnet. Vom "silbrig durchzogenen
Schnurrbart" des Chefredakteurs Schoeps über den vom
Morgenkaffee "übermäßig genährten Bart"
des Fotografen Möllmanns bis zum "zweizipfligen Vollbart"
des Korvettenkapitäns a. D. Hugo Rüdiger reichen die
Varianten des haarigen Gesichtsschmucks, und selbst das eher feminie
Gesicht des betrügerischen Tycoons Sholto Douglas wird von
"in die Luft stechenden Augenbrauenbärten" geziert.
Doch der Lerner selbst, immerhin der Anführer der Expedition,
scheint bartlos. Dabei heißt es doch schon in einem alten
Lied, daß auf Kaperfahrten, und um eine solche handelt es
sich gewissermaßen doch auch, Männer mit Bärten
gefragt seien. Kein Wunder, möchte man meinen, daß
am Ende des Buches, das man mit Einschränkung ein glückliches
nennen könnte, Theodor Lerners Pläne zur Eroberung fremder
Welten von ganz anderem Charakter sind. Aber das muß man
selbst nachlesen. Ich jedenfalls werde gleich zum Rasiermesser
greifen und mir die häßlichen Fussel aus dem Gesicht
schaben. Schließlich stehen die Chancen, daß ich einmal
dieses verwünschte Lokal verlassen und auf große Fahrt
gehen werde, ziemlich schlecht.
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