Schwer traumatisierte Beamte, die, ginge es mit rechten Dingen zu, längst im Vorruhestand sein müssten, gehören seit längerer Zeit zum Standardinventar fiktiver Ermittlungsarbeit, ob im Fernsehen oder in der Literatur. Auch die ehemalige Karrierekriminalistin Marta Milutinovic bleibt weiter im Dienst, obwohl sie eigentlich dringend therapeutischer Hilfe bedürfte. So wundert es nicht, dass sie, kaum an ihrem neuen Einsatzort im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet eingetroffen, im Streit um einen Parkplatz zur Dienstwaffe greift. Zum Glück geht die Sache, anders als ein früherer Vorfall, glimpflich aus. Später allerdings kommt es knüppeldick für die Polizistin mit zwanzig Jahren Berufserfahrung. In der fränkischen Provinz nämlich tun sich Abgründe des Verbrechens auf, von organisiertem sexuellem Missbrauch über Drogenhandel bis zu Mord und Erpressung reicht die Palette der vertuschten Straftaten, die Kommissarin Milutinovic bis zum hinreichend blutigen Finale aufzuklären hat. Dass sie sich dabei besonders geschickt anstellt, kann man nicht sagen, dem wiederholten professionellen Lob ehemaliger Kollegen zum Trotz.
Jochen Rauschs Kriminalroman Im Grenzland ist als erster Band einer neuen Serie angekündigt, die sich widerstandslos in aktuelle Genretrends einfügt. Und das ist wohl auch die Absicht des ausgesprochen routiniert operierenden Autors, an dessen handwerklichen Fähigkeiten kein Zweifel besteht. Dem Erfolg der Reihe steht also nichts im Wege.
Budapest im September 2015. Hunderte von Flüchtlingen auf dem Weg nach Westen stecken in der ungarischen Hauptstadt fest. Wer noch über genügend Geld verfügt, kann sich professionelle Schleuser leisten. Und einige wenige Privilegierte gelangen sogar an echte Pässe, die ihnen die Ausreise mit dem Flugzeug ermöglichen. Dumm nur, wenn das Betrugsmanöver nach der Landung in London Heathrow auffliegt. Dann haben nämlich auch die verantwortlichen Regierungsstellen ein Problem. In diesem Fall sogar der Ministerpräsident. Adam LeBor, lange als Korrespondent in Budapest tätig, zeichnet in seinem Politthriller District VIII das Bild einer durch und durch korrupten Herrschaftskaste, die vor allem das eigene Wohlergehen im Sinn hat und sich nur im Auftreten von Aktivisten des organisierten Verbrechens unterscheidet. Ein aufrechter Gesetzeshüter wie Balthazar Kovács hat es da schwer, zumal er aus einer Roma-Familie stammt, deren Verhältnis zur Staatsgewalt traditionell problematisch ist. Als er den Mord an einem syrischen Flüchtling aufzuklären versucht, gerät er im wahrsten Sinne des Wortes zwischen die Fronten. Das macht ihn zu einer idealen Identifikationsfigur. LeBor setzt seinen Stoff gekonnt in Szene. Dabei überwiegt der Spannungsfaktor. Ironie und Sentimentalität kommen wie das umfangreiche landeskundliche Wissen des Autors in verträglichen Dosen zum Einsatz. District VIII erschien im Original 2017 und ist der erste von bislang drei Romanen mit Balthazar Kovács. Man möchte unbedingt mehr über ihn lesen.
Wie man Zeitgeschichte als Kulisse für einen psychologischen Thriller herrichtet, demonstriert die amerikanische Autorin Flynn Berry in ihrem Roman Northern Spy, der in einer fiktiven nordirischen Gegenwart spielt. Die Belfaster Journalistin Tessa, alleinerziehend, ein Kind, findet heraus, dass ihre Schwester Marian Mitglied der IRA ist. Und das nicht erst seit gestern, wie auch der Polizei und dem britischen Geheimdienst bekannt ist. Tessa steckt in einer üblen Zwickmühle und muss dennoch handeln. Das ergibt einen konfliktreichen Spannungsroman, der allerdings nicht sehr viel mit der aktuellen Situation in Nordirland zu tun hat und konsequent die tatsächliche politische Entwicklung seit 1997, als die IRA einen Waffenstillstand verkündete, ignoriert. So wirkt das Ausmaß der geschilderten terroristischen Anschläge so, als wäre die recht naiv konstruierte Romanhandlung in den achtziger Jahren angesiedelt. Wer diesen Grad an Beliebigkeit erträgt und seine Lektüre gerne gefühlig mag, dürfte sich durch Northern Spy gut unterhalten fühlen.
An die Urängste des modernen Menschen, vor allem, wenn er Immobilien besitzt, rührt die Lektüre von Megan Abbotts zeitgenössischem Schauerroman Aus der Balance. Das personifizierte Grauen steht breitbeinig im Raum und macht fachmännische Vorschläge, die man nicht ablehnen kann. Denn man hat ja keine Ahnung. So wie die Durant-Schwestern, deren Ballettschule ein Brand arg zugesetzt hat. Doch Bauunternehmer Derek verspricht eine erstklassige Renovierung. Und schon nimmt das Unheil seinen Lauf. Nicht, dass vorher alles in Ordnung gewesen wäre. Das Verhältnis zwischen Dara Durant, ihrem Mann Charlie und Schwester Marie war schon labil und konfliktanfällig, bevor Derek auftaucht. Doch seine Präsenz, die Marie fasziniert und Dara abstößt, wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Eine explosive Mischung von Gewalt, Sex und geschwisterlicher Eifersucht mündet in einer Katastrophe, während gleichzeitig unter großem Druck für die jährliche Aufführung von Tschaikowskis Nussknacker geprobt wird. Schon die drastische Schilderung der Qualen, denen sich die vielen ballettbegeisterten Mädchen und wenigen Jungen unterziehen, sorgt für den Horroreffekt dieses brutal naturalistisch erzählten Romans, dessen sinistrer Plot für manche Überraschung gut ist. Und wer nicht nur den reinen Nervenkitzel sucht, findet in Aus der Balance ein beziehungsreiches Motivgeflecht, das zu tiefergehenden analytischen Anstrengungen einlädt. Was möchte man mehr? |