Eine "Koalition der Willigen" unter Führung der USA und Großbritanniens griff im März 2003 den Irak an. Angeblich hortete der Diktator Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen. Dass diese Behauptung nicht den Tatsachen entsprach, ist seit langem Allgemeinwissen. Ebenso wie der traurige Umstand, dass der Sturz des Gewaltherrschers nicht zu Frieden und Demokratie im Nahen Osten führte. Deutschland war nicht militärisch am "dritten Golfkrieg" beteiligt, der Bundesnachrichtendienst unterstützte die Verbündeten aber logistisch. Zudem hatte eine BND-Quelle all die Informationen über chemische und biologische Waffen geliefert, die als Kriegsgrund herhalten sollten. Dass der ehemalige Chemieingenieur Rafed Aljanabi, Deckname "Curveball", ein Märchenerzähler war, wollte damals niemand wissen. Oder vielleicht doch.
Oliver Bottinis Spionagethriller Einmal noch sterben erzählt eine fiktive, aber nicht unwahrscheinliche Variante der Geschichte. Im Februar 2003 werden drei BND-Agenten nach Bagdad geschickt. Angeblich beweisen Unterlagen, dass "Curveball" ein Lügner ist. Ein Krieg ließe sich also vielleicht verhindern, gelänge es, diese Informationen sicherzustellen. Doch das ist nicht das eigentliche Ziel der Mission, im Gegenteil: Auch in deutschen Geheimdienstzirkeln arbeiten mächtige Befürworter eines Militärschlags, die mit allen Mitteln Zweifel an dessen Legitimität aus dem Weg räumen wollen. Schließlich ist der Terrorangriff auf das World Trade Center noch keine achtzehn Monate her. Und dass der irakische Diktator al-Qaida unterstütze, erscheint nicht nur der US-Regierung plausibel.
Dass vermeintliche Akteure zu Marionetten werden, ist ein zentrales Handlungselement des Spionagesujets. Bottinis zentrale Figur Frank Jaromin, ein als Scharfschütze ausgebildeter BND-Agent, verkörpert ein besonders tragisches Beispiel. Als er merkt, dass sein Einsatz im Irak Teil einer perfiden Verschwörung war, ist es zu spät. Hier gibt es keine Helden, die die Welt retten, sondern vor allem beschädigte Menschen. Und auch die Schurken sind Verlierer. Einmal noch sterben überzeugt nicht nur als Thriller, sondern ist ein Zeitgeschichtsroman im besten Sinne.
Während Oliver Bottinis Romane einem ernsthaften Realismus verpflichtet sind, setzt der Berliner Autor Clemens Murath auf das satirische Potenzial aktueller Politik. Stilistisch steht der große Elmore Leonard Pate, wenn Murath seinen Anti-Helden Frank Bosmann in den Kampf gegen das organisierte, international agierende Verbrechen schickt. Der LKA-Ermittler ist ein moralisch dubioser Charakter, dessen Handeln ganz individuellen ethischen Grundsätzen folgt. Im Zweifelsfall wird erst geschossen und dann gefragt. Da liegt der Mordverdacht nahe, wobei Bosmann ausgerechnet hier unschuldig ist. Wie Bottini orientiert sich Clemens Murath auch im zweiten Band der Reihe, Der Bunker, an realen Ereignissen, vom illegalen Organhandel der paramilitärischen UÇK während des Kosovokrieges bis zu den Umsturzplänen rechtsradikaler Milizen hierzulande, nutzt sie aber als Hintergrund für ein krachendes Spektakel, bei dem ein abgehalfterter amerikanischer Schauspieler und ein seriensüchtiger albanischer Mafiaboss für grimmige Komik sorgen. Das ist ebenso erschreckend wie unterhaltsam.
Abschied vom Politthriller nimmt, vielleicht auch nur vorübergehend, Christian von Ditfurth, der mit seiner Reihe um den Berliner Ermittler Eugen de Bodt das Genre neu definiert hat. Superhelden made in Germany waren seit den Tagen des legendären Mr. Dynamit, erfunden vom heimischen Pulpmeister C. H. Guenter, Mangelware, aber de Bodt, Besoldungsgruppe A 12, erwies sich als perfekter Ersatz, allerdings nicht im Heftchenformat. Komplex verschlungene Handlungsstränge erfordern dickleibige Romane, das Lesetempo lässt sich derweil durch einen von Hauptsatzreihen und Ellipsen geprägten Stil beschleunigen. Siebenmal durfte sich de Bodt in brenzligen Situationen von internationalen Dimensionen beweisen, aber nun ist Schluss. Der studierte Historiker von Ditfurth begibt sich mit seiner aktuellen Reihe auf ein seit geraumer Zeit immens populäres Terrain: den Retrokrimi. Karl Raben heißt sein neuer Held, der Einsatzort ist das Berlin der frühen dreißiger Jahre. Schon bei Dienstantritt erweist sich der junge Polizist als ebenso exzellenter wie risikofreudiger Kriminalist. So holt er in einer halsbrecherischen Aktion einen nach Österreich geflohenen mordverdächtigen SA-Mann zurück nach Berlin. Dass dieser unmittelbar nach der "Machtergreifung" wieder auf freien Fuß kommt und als Held der Bewegung gefeiert wird, versteht sich, denn das Opfer war ein kommunistischer Journalist. Rabens Lage wird schwierig, zumal seiner Frau aufgrund ihrer jüdischen Herkunft Verfolgung droht. Der Ausweg ist, vorsichtig ausgedrückt, moralisch zweifelhaft: Karl Raben wechselt von der Kripo zur Geheimen Staatspolizei. Deren Chef, Reinhard Heydrich, ist vollkommen ideologiefrei, wenn es um die Macht geht, und hat schon länger Interesse an dem talentierten Ermittler gezeigt. Berechenbar allerdings ist er ebenso wenig wie die Zeitläufte. Karl Raben hat sich auf sehr dünnes Eis begeben. Das ist auch für den Autor eine Herausforderung, die Christian von Ditfurth mit bewährten erzählerischen Mitteln angeht. Rasche Szenenwechsel, kurze Kapitel, knappe Sätze. Das funktioniert. Noch. Tanz mit dem Tod endet 1934 mit dem so genannten Röhm-Putsch, der von Raben genutzt wird, um seine persönlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit zu verwirklichen. Seinen letzten Fall wird er übrigens erst in der jungen Bundesrepublik lösen. Auf die Entwicklung bis dahin darf man gespannt sein.
Zeug zur Serie hat auch der historische Kriminalroman Fabrik der Schatten, die zweite und leider letzte Gemeinschaftsarbeit von Matthias Wittekindt und dem 2020 zu früh verstorbenen Rainer Wittkamp. Ort der Handlung ist das deutsche Kaiserreich, vier Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Noch scheint die Lage friedlich, doch das Misstrauen unter den europäischen Mächten ist groß. Und das bedeutet viel Arbeit für die jeweiligen Geheimdienste. Auf deutscher Seite ermitteln die Agenten Craemer und Vogel in Sachen Mord und Sabotage. Wer die Geschichte des Ersten Weltkriegs kennt und weiß, welch verheerende Waffen eingesetzt wurden, kann sich bei der Lektüre ausmalen, woran in der "Fabrik der Schatten" gearbeitet wird. Dass die Handlung des gut recherchierten Romans in einer Zeit des rasanten gesellschaftlichen und technischen Umbruchs angesiedelt ist, spiegelt sich auch in der Figurenkonstellation wider und verleiht der Lektüre einen besonderen Reiz. Dies betrifft vor allem die junge Agentin Lena Vogel, deren abenteuerliche Biografie kapitelweise rekapituliert wird. Dass Matthias Wittekindt, diesmal im Alleingang, bereits an einem Folgeband arbeitet, ist eine gute Nachricht. |