Wäre Fumio Onishi nicht geübt in der Kunst der Gelassenheit, würde ihm sein Auftrag in Berlin stärker zusetzen. Das selbstbewusste Verhalten westlicher Frauen erträgt er ebenso gefasst wie die rauen Begrüßungsrituale seines marokkanischen Geschäftspartners. Und doch scheint der japanische Berufskiller seiner Sache nicht sicher. Eigentlich soll er den gewaltsamen Tod Yuki O.s, der wie Onishi im Dienste einer Yakuza-Organisation tätig war, aufklären. Aber die Spur führt in die vietnamesische Subkultur, und dort ist man verschwiegen. Schon bald pflastern Leichen den Weg des waffengewandten Außendienstmitarbeiters, ohne dass wirklich Klarheit in die Angelegenheit kommt.
Im Dunkeln tappt auch Kriminalhauptkommissarin Annegret Bartsch, die sich eigentlich bestens im Milieu der vietnamesischen Einwanderer auskennt, aber seit langem keinen Ermittlungserfolg mehr zu verzeichnen hat. Die scheinbar unmotivierte Mordserie lässt sie beinahe verzweifeln. Außerdem ist sie, wie jede gute fiktive Kriminalistin, mit familiären Problemen geschlagen. Man kann sich also denken, um welche Themen ihre inneren Monologe kreisen, während Oshimi mordend durch die Stadt zieht.
Christoph Peters hat in seinen bisherigen Romanen die kulturellen Differenzen zwischen fernem Osten und nahem Westen bevorzugt komödiantisch inszeniert. In Der Arm des Kraken greift er sehr effektvoll zu den Mitteln der Spannungsliteratur. Und beweist damit, dass der momentan in Schriftstellerkreisen so populäre Ausflug ins Genre nicht per se in die Irre führen muss.
Wer wahre Krimikunst sucht, wird allerdings noch immer eher bei Autoren fündig, denen hochliterarische Ambitionen seit jeher fremd waren. Jörg Juretzka zum Beispiel, gelernter Zimmermann aus Mülheim an der Ruhr, hat mit Trailerpark, seinem zwölften Roman um den mit allen Wassern gewaschenen Privatschnüffler Kristof Kryszinski, just ein veritables Meisterstück vorgelegt. Wieder einmal bekommen wir vorgeführt, dass in einer schlechten Welt auch die Weste des Helden nicht blütenrein bleiben kann. Nachdem er die Mafia von Marseille um einen ganzen Stapel großer Scheine erleichtert hat, versteckt sich Kryszinski mit falschem lettischem Pass unter illegalen Einwanderern in einer Wohnwagensiedlung an der Küste Portugals. Doch dem Miesen und Gemeinen, ja dem Bösen in seinen vielfältigen Erscheinungsformen entkommt er nicht. Aber der Junge aus dem Kohlenpott weiß sich seiner Haut zu wehren. Zudem hat ihn sein Erfinder mit einer Eloquenz ausgestattet, die jedem Plot, mag er auch noch so grotesk erscheinen, gewachsen ist. Dass die verbale Artistik auch als Camouflage für eine empfindsame Seele herhalten muss, versteht sich in diesem Genre von selbst.
Auch Crissa Stone, eine professionelle Gesetzesbrecherin, deren Geschäftsgebaren dem ihrer (ebenfalls fiktiven) männlichen Kollegen wie Parker (Richard Stark) oder Wyatt (Garry Disher) in nichts nachsteht, ist nur nach außen taff. Ihr Geliebter sitzt im Knast, und ihre 9-jährige Tochter kriegt sie nur gelegentlich für ein paar Minuten zu sehen. Später sitzt sie weinend in der Dusche irgendeines Hotels. Crissa braucht viel Geld, allein die Zahnarztrechnung für das Kind geht in die Tausende. Und noch mehr wird es kosten, ihren Lover aus dem Gefängnis zu holen. Also lässt sie sich auf eine riskante Unternehmung ein, die dann genau jene Komplikationen mit sich bringt, aus denen sich ein zünftiger Plot basteln lässt. Dargeboten wird die Geschichte in einem lakonischen Hauptsatzstil. Auch die Figuren reden, als ob jedes Wort zu viel mit einer Konventionalstrafe belegt wäre. Erfunden wurde Crissa Stone von dem ehemaligen Journalisten Wallace Stroby. Ursprünglich als Hommage an die Klassiker der Kriminalliteratur gedacht, hat sich die Reihe, von der inzwischen vier Bände vorliegen, sehr eigenständig entwickelt. Dass der Auftaktroman Kalter Schuss ins Herz nun auch hiesige Aficionados schnörkelloser Spannungsprosa erfreuen kann, verdankt sich dem Engagement des Kritikers Alf Mayer, der das gute Stück ohne Transportschäden ins Deutsche übertragen hat. Und der Bielefelder Pendragon Verlag darf sich nach Robert B. Parker und James Lee Burke über einen weiteren großartigen amerikanischen Erzähler im Programm freuen.
Keine Rolle spielt der Gangsterroman in einem humorigen Bändchen, das sich unter dem Schlagwort Krimi! (mit Ausrufezeichen) anschickt, Aufschluss über "Mord und Totschlag in der Literatur" zu geben und mit lustigen Zeichnungen, skurrilen Listen und launigen Inhaltsangaben aufwartet. Wer Kriminalromane vor allem als Lesefutter betrachtet, findet hier ein vergnügliches Begleitkompendium zur Lektüre. Unkritisch sind die beiden Verfasserinnen übrigens nicht: Manche der knappen Zusammenfassungen populärer Schmöker (Fitzek, Beckett et. al.) wirken so abschreckend, dass man froh ist, ihnen nie in einem einsamen Ferienhaus ausgeliefert gewesen zu sein.
Ernsthafte Interessenten greifen allerdings besser zu Thomas Wörtches gesammelten Kolumnen für die "Polar Gazette", auch wenn sie riskieren, dass ihr bisheriges Bild vom Genre heftig durcheinandergeraten könnte. Wörtche schreibt leidenschaftlich, kenntnisreich und gelegentlich schön schnoddrig.
Beispielhaft ist hier das Kapitel zum "Deutschkrimi", das weder Feuilletonlieblinge wie Jan Costin Wagner noch die Hersteller massenkompatibler Populärware wie Nele Neuhaus schont. Die "vor Ambition bebenden Versuche, 'literarische Krimis' zu schreiben" sind ihm ebenso ein Graus wie die "Regio- und Schenkelklopfgrimmis". Und eigentlich meint er, kein Wort mehr über die nationalliterarischen Aspekte des Genres verlieren zu müssen. Die spielen nämlich für jene singulären Autorinnen und Autoren, deren Werk Wörtche schätzt, weil sie eben nicht formelhaft daherkommen, keine Rolle. Dass er sich dann doch mit Verve in die Debatte um den heimischen Krimi stürzt, ist wohl seiner Lust am Widerspruch geschuldet. Dass er diese dann auch beim Leser weckt, darf man als Qualitätsmerkmal verstehen. |