Wer Kriminalromane bevorzugt, in denen tagesaktuelle
Themen, garniert mit einer schröcklichen Mordgeschichte,
abgehandelt werden, sollte unbedingt das neue Buch von "Schwedens
Queen of Crime" (Andrea Fischer), Liza
Marklund, lesen. Ein Kundensegment, dem weder hölzerner
Stil noch ein grob zusammengezimmerter Plot den Lesespaß
verderben kann, findet in Nobels Testament die ideale Lektüre,
bedient Marklund doch passgenau jenes Bedürfnis nach pseudo-realistischem
Eskapismus, dem sich der nicht enden wollende Boom skandinavischer
Krimis verdankt.
Während die tapfere Journalistin Annika Bengtzon daheim Bergmans
Szenen einer Ehe nachspielt, tobt im Nobelpreiskomitee
ein, im wahrsten Sinne des Wortes, mörderischer Konkurrenzkampf,
der sein erstes Opfer ausgerechnet während der Gala zur Verleihung
der begehrten Auszeichnung fordert. Bengtzon, die über die
Veranstaltung berichten soll, wird Augenzeugin des Attentats und
von der Polizei zum Schweigen verpflichtet. Doch die schrecklichen
Bilder verfolgen sie bis in ihre Träume, so dass sie gar
nicht anders kann, als der Sache nachzugehen, obwohl sie eigentlich
nicht die rechte Energie dafür aufbringt. Denn ihre Eheprobleme,
der Umzug in eine feine Gegend, Ärger mit einem cholerischen
Nachbarn und natürlich die Sorgen um ihre beiden Kinder halten
Annika Bengtzon schwer auf Trab und helfen mit, mindestens die
Hälfte des über 400 Seiten starken Romans zu füllen.
Da zudem noch eine ganze Reihe anderer wichtiger Themen eingebaut
werden müssen, von den Machenschaften der CIA bis zu den
neuesten Entwicklungen auf dem Zeitungsmarkt, ist für die
Suche nach dem Drahtzieher hinter der Mordserie - es bleibt nicht
bei einer Leiche - verhältnismäßig wenig Platz
übrig. Wie gut, dass sich der Fall letztlich beinahe von
selbst klärt. Ein Roman wie dieser lässt den leisen
Verdacht aufkommen, dass seine Verfasserin das Genre eigentlich
geringschätzt.
Ganz dicht am Puls der Zeit gibt sich auch Die Macht des Mr.
Miller, der erste ins Deutsche übersetzte Kriminalroman
des niederländischen Autors Charles den
Tex. Ein Angestellter einer weltweit tätigen Beratungsfirma
wird durch Zufall Zeuge eines Mordes, der sich ausgerechnet im
Amsterdamer Hauptquartier seines Arbeitgebers ereignet. Natürlich
fällt der Verdacht auf ihn, und da er einige Mühe hat,
seine Unschuld zu beweisen, ist er schon bald auf der Flucht.
Aber nicht nur die Polizei will seiner habhaft werden, auch einige
böse Buben sind ihm auf den Fersen. Merkwürdigerweise
scheinen sie immer zu wissen, wo er sich aufhält. Des Rätsels
Lösung hat mit dem weltweiten Computernetz zu tun und sei
hier nicht verraten. Aber dass es sich um eine groß angelegte
Verschwörung finsterer Mächte handelt, vermutet der
kundige Leser sowieso nach wenigen Seiten. Interessant ist an
diesem Thriller weniger der Versuch, das Bedrohungspotenzial moderner
Kommunikationstechnologien literarisch zu mobilisieren, als vielmehr
sein Verharren in tradierten Erzählmustern des Genres. Am
Ende werden nicht nur die Hintermänner der Verschwörung
und ihre üblen Absichten entlarvt, auch ihr perfider Plan
kann durch das entschlossene Handeln einer Gruppe edler Computerhacker
noch rechtzeitig vereitelt werden. Um nicht falsch verstanden
zu werden: Die Macht des Mr. Miller ist solide konstruierter
Spannungsroman. Aber auch nicht mehr. Denn selbst die avancierteste
Technik lässt sich offenbar problemlos mit den erzählerischen
Mitteln des 19. Jahrhunderts darstellen. Und das ist letztlich
doch ein bisschen langweilig.
Da bietet Arsen Rewazows fantastischer
Thriller Der schwarze Gral schon mehr. In seinem Heimatland
hat der studierte Mediziner, der in Moskau eine Werbeagentur betreibt,
mit seinem ersten Roman sofort einen Bestseller gelandet. Ein
Umstand, der unbedingt für den Geschmack des russischen Lesepublikums
spricht. In diesem aberwitzigen Schmöker findet sich alles,
was das Genre verlangt: eine geheimnisvolle religiöse Gemeinschaft,
die seit Jahrtausenden ihr Unwesen treibt, kryptische Zeichen,
ein bisschen Erotik und drei tapfere Freunde, die sich mutig dem
Bösen in den Weg stellen. Glücklicherweise ist Rewazow
ein Autor, der diese klischeetriefende Mischung mit einer gehörigen
Portion Witz und Ironie serviert und so zu einem großen
Lesevergnügen werden lässt. Zudem ist der Roman mit
literarischen Anspielungen förmlich gespickt. Die haben zwar
nicht immer viel zu bedeuten, ihre Entschlüsselung aber macht
großen Spaß. Und bei aller Fantastik: Wer etwas über
das Leben der jungen Generation im heutigen Russland erfahren
will, wird hier ebenfalls fündig. Einen "schwarzen Gral"
allerdings sucht man vergebens, weiß der Teufel, was sich
der Verlag bei diesem Titel gedacht hat.
Einer ganz anderen Tradition verpflichtet ist der angebliche Ex-Theologiestudent
Max Bronski, der seinen Amateurdetektiv
Wilhelm Gossec zum zweiten Mal ermitteln lässt. Im Stil der
hartgesottenen Privatschnüffler amerikanischer Prägung
schlägt der Trödler aus dem Münchener Schlachthofviertel
eine Schneise durch ein Dickicht aus Korruption und Immobilienspekulation,
ohne jedoch das Gestrüpp wirklich lichten zu können.
Auf den Sieg der Gerechtigkeit zu warten, das weiß der Liebhaber
des Genres, ist vergebens. Wenn Bronski seinen Helden nun auch
noch dazu kriegen könnte, ein bisschen weniger zu plaudern
und sich stattdessen intensiver um seine Fälle zu kümmern,
würde man dem nächsten Abenteuer des sympathischen Raubeins
mit größerer Ungeduld entgegensehen. Zumal das, wenig
originell, München Blues betitelte Werk so dünn
ist, dass für viele Anekdoten und ausgiebige atmosphärische
Schilderungen eigentlich gar kein Platz da sein sollte.
Auch Ricardo Blanco, der in Las Palmas auf Gran Canaria seiner
Ermittlertätigkeit nachgeht, zeigt gewisse Probleme, sich
auf seinen Fall zu konzentrieren. Schuld daran ist, wie sollte
es anders sein, eine Frau. Seltsamerweise stören die Abschweifungen
kaum, zumal der Privatdetektiv, während er an der Aufklärung
einer Mordserie arbeitet, nicht selten ziemlich benebelt scheint.
Dazu passt, dass seine Auftraggeberin, eine junge Frau, die fürchtet,
unter Tatverdacht zu geraten, irgendwann aus der Handlung verschwindet
und der Fall eine rasante Eigendynamik entwickelt. Am Ende warten
ein furioser Showdown und ein ausführliches Geständnis,
das einen Blick in die Abgründe des Geschlechterkampfes unter
südlicher Sonne gewährt. Tod im April, der zweite
Detektivroman des kanarischen Professors José
Luis Correa, ist nicht nur wegen seines Handlungsortes
interessant, sondern profitiert in hohem Maße von seiner
komplex angelegten Hauptfigur, die zudem einen bemerkenswert unprätentiösen
Erzähler abgibt.
Zum Schluss noch ein Hinweis auf ein vielversprechendes neues
Periodikum: Dieter Paul Rudolph, unter anderem Mitherausgeber
des Krimijahrbuchs und Betreiber der besten Website für Krimikritik,
Watching the Detectives (bei www.hinternet.de),
macht seine scharfsinnigen Essays zur Kriminalliteratur endlich
auch gedruckt öffentlich. Makro Scoop
soll dreimal jährlich erscheinen. Wie man hört, ist
die Abonnentenliste noch nicht geschlossen.
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