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Mord & Totschlag 52
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Zwischen 1989 und 1998 veröffentlichte John Harvey zehn Romane, die zum Besten gehören, was die an talentierten Autoren nicht arme britische Kriminalliteratur in den letzten zwei Jahrzehnten hervorgebracht hat. Das liegt vor allem an der außergewöhnlichen Fähigkeit dieses Autors, seinen Figuren mit wenigen Worten Leben einzuhauchen und ihr Umfeld präzise zu erfassen. Gemildert wird der oft krasse soziale Realismus durch einen besonders liebenswerten Ermittler: Detective Inspector Charlie Resnick ist ein melancholischer Jazzfan und Sandwich-Experte, dem oft nur seine Katzen Gesellschaft leisten. So einen netten Menschen verliert man ungern aus den Augen, darum ist es erfreulich, dass Resnick in Harveys neuer Reihe über den pensionierten Kriminalisten Frank Elder noch immer eine kleine Nebenrolle spielen darf. Dem Vernehmen nach lebt er, zur Verwunderung seiner Kollegen, glücklich mit einer erheblich jüngeren Frau zusammen.
Elder dagegen hat den Dienst quittiert und hat sich, getrennt von Frau und Tochter, an den äußersten Zipfel Cornwalls zurückgezogen. Der Ruhestand ist allerdings nur vorläufig. Ein Fall, den er vor vielen Jahren nur unzureichend hatte klären können, wird wieder aktuell, als einer der Täter aus dem Gefängnis entlassen wird. Flesh and Blood überzeugt als Kriminalroman wegen der äußerst spannenden, subtil erzählten Handlung.
Im Zentrum des Buches aber steht vor allem das Scheitern menschlicher Beziehungen. Es scheint, als ob Harveys Weltsicht noch ein bisschen düsterer geworden ist. Wer es selbst nachprüfen will: Die deutschen Ausgaben der Resnick-Serie sind vor einigen Jahren in willkürlicher Reihenfolge bei Goldmann erschienen und momentan noch problemlos antiquarisch zu bekommen. Flesh and Blood wird nächstes Jahr in deutscher Übersetzung veröffentlicht.
Vielleicht könnte sich ja auch einer der rührigen kleineren Verlage, die seit einiger Zeit die Krimiszene bereichern, um die Rechte an John Harveys früheren Büchern bemühen. Schließlich finden wir Robert B. Parkers neues Abenteuer des Bostoner Privatermittlers Spenser, früher immerhin Held einer Fernsehserie, auch nicht mehr im Angebot einer großen Taschenbuchfabrik, sondern im feinen Programm des Bielefelder Pendragon-Verlags. Das mag natürlich auch daran liegen, dass private Ermittler momentan keine gute Konjunktur zu haben scheinen. Dabei ist es so entspannend, den guten Spenser wieder einmal bei der Arbeit zu beobachten. Der Fall ist klassisch: Ein Bankier wird ermordet, seine junge Witwe ist die Hauptverdächtige. Spenser soll ihre Unschuld beweisen. Bei seinen Nachforschungen stößt der wackere Detektiv auf eine ganze Reihe habgieriger und gewaltbereiter Zeitgenossen, und am Ende hat er eine ziemlich perfide Intrige aufgedeckt.
Doch das Vergnügen an Krimis dieser Art beruhte ja schon immer weniger auf der Originalität des Plots als auf dem Zusammenspiel von lakonischer Beschreibung und scharfen Dialogen.
Wie man eine kriminelle Handlung als Vorwand nutzt, um einen ausgiebigen politisch-philosophischen Diskurs an den Leser zu bringen, zeigt Jürgen Lodemanns neuer Roman NORA und die Gewalt- und Liebessachen. Im Juni 1980 kommt die Queen nach Essen, und eine Gruppe von Polit-Aktivisten, unter ihnen ein irisch-republikanischer Hitzkopf, plant eine Entführung. Allerdings nur zu Aufklärungszwecken. Man möchte der britischen Monarchin vorführen, wie die Welt, besonders in der nordirischen Provinz des Vereinigten Königreiches, beschaffen ist. Die Sache geht natürlich schief. Aber das darf man ruhig vorher wissen. Denn Lodemanns Buch ist eben keine gewöhnliche Erzählung vom Verbrechen, sondern ein sprachlich virtuoser Traktat über die Unzulänglichkeit der menschlichen Verhältnisse.
Dass wir in einer großen, keinesfalls guten Gesellschaft leben, führt uns auf schlichtere Weise, aber durchaus eindrucksvoll, Walter Wolters neuer Roman über den Ex-Boxer und Privatdetektiv Bruno Schmidt vor. Wer unter dem rätselhaften Titel Zur Hölle mit den Wanderfalken eine anti-ornithologische Kampfschrift vermutet, wird schon bald eines Besseren belehrt. Es geht um Söldner, Soldaten auf eigene Rechnung, die vor allem in Afrika ihre blutige Dienstleistung ausüben. Trainiert werden die selbsternannten "Wanderfalken" allerdings in Europa, an der deutsch-französischen Grenze. Ein Freundschaftsdienst für den unter Mordverdacht stehenden Bruder seiner Freundin bringt Bruno Schmidt in lebensgefährlichen Kontakt mit dieser immer gewaltbereiten Spezies. Wolter erzählt unaufwendig und routiniert, aber mit viel Sinn für Ironie und Überraschungseffekte.
Aufs Erzählen versteht sich auch Martin Suter, der Erfolgsautor aus der Schweiz. In seinem neuen Roman Der Teufel von Mailand verschlägt es die Physiotherapeutin Sonia in ein Luxushotel im Engadin. Hier versucht sie Abstand von ihrem bisherigen Leben zu gewinnen, vor allem von ihrer gescheiterten Ehe mit einem wohlhabenden Bankier.
Doch wie man es erwartet, wird daraus so recht nichts. Denn das kleine Bergdorf, in dem das Hotel gerade neu eröffnet hat, ist alles andere als eine Idylle. Misstrauisch werden Gäste und Angestellte beobachtet. Und dann beginnt die Reihe der seltsamen Vorfälle, die, wie Sonia zu ihrer Bestürzung herausfindet, den Vorhersagen einer alten Sage entsprechen.
Was klingt wie ein moderner Schauerroman, ist auch einer. Martin Suter versteht es vorzüglich, den Leser in die Psyche seiner Heldin zu ziehen, das macht das Buch so spannend. Denn Sonia verfügt nicht nur über ein phänomenales visuelles Gedächtnis, seit einem unglücklich verlaufenen LSD-Trip ist auch ihre Sinneswahrnehmung auf bemerkenswerte Weise gestört. Da sind Zweifel an dem, was man gemeinhin für die Wirklichkeit hält, vorprogrammiert. Dass am Ende des Romans eine auch Rationalisten befriedigende Lösung für die rätselhaften Ereignisse vorliegt, mag mancher Leser allerdings wie eine kalte Dusche empfinden.

 

John Harvey: Schrei nicht so laut. Roman. Übersetzt von Sophie Kreutzfeldt. 496 Seiten. dtv. München 2007. € 9,90.

Robert B. Parker: Die blonde Witwe. Ein Auftrag für Spenser. Roman. Übersetzt von Emanuel Bergmann und Tanja Mushenko. 224 Seiten. Pendragon. Bielefeld 2006. € 9,80.

Jürgen Lodemann: NORA und die Gewalt- und Liebessachen. Roman. 286 Seiten. Asso. Oberhausen 2006. € 19,90.

Walter Wolter: Zur Hölle mit den Wanderfalken. Roman. 303 Seiten. Gollenstein. Blieskastel 2005. € 19,90.

Martin Suter: Der Teufel von Mailand. Roman. Diogenes. 297 Seiten. Zürich 2006. € 19,90.