Zwischen 1989 und 1998 veröffentlichte John
Harvey zehn Romane, die zum Besten gehören, was die
an talentierten Autoren nicht arme britische Kriminalliteratur
in den letzten zwei Jahrzehnten hervorgebracht hat. Das liegt
vor allem an der außergewöhnlichen Fähigkeit dieses
Autors, seinen Figuren mit wenigen Worten Leben einzuhauchen und
ihr Umfeld präzise zu erfassen. Gemildert wird der oft krasse
soziale Realismus durch einen besonders liebenswerten Ermittler:
Detective Inspector Charlie Resnick ist ein melancholischer Jazzfan
und Sandwich-Experte, dem oft nur seine Katzen Gesellschaft leisten.
So einen netten Menschen verliert man ungern aus den Augen, darum
ist es erfreulich, dass Resnick in Harveys neuer Reihe über
den pensionierten Kriminalisten Frank Elder noch immer eine kleine
Nebenrolle spielen darf. Dem Vernehmen nach lebt er, zur Verwunderung
seiner Kollegen, glücklich mit einer erheblich jüngeren
Frau zusammen.
Elder dagegen hat den Dienst quittiert und hat sich, getrennt
von Frau und Tochter, an den äußersten Zipfel Cornwalls
zurückgezogen. Der Ruhestand ist allerdings nur vorläufig.
Ein Fall, den er vor vielen Jahren nur unzureichend hatte klären
können, wird wieder aktuell, als einer der Täter aus
dem Gefängnis entlassen wird. Flesh and Blood überzeugt
als Kriminalroman wegen der äußerst spannenden, subtil
erzählten Handlung.
Im Zentrum des Buches aber steht vor allem das Scheitern menschlicher
Beziehungen. Es scheint, als ob Harveys Weltsicht noch ein bisschen
düsterer geworden ist. Wer es selbst nachprüfen will:
Die deutschen Ausgaben der Resnick-Serie sind vor einigen Jahren
in willkürlicher Reihenfolge bei Goldmann erschienen und
momentan noch problemlos antiquarisch zu bekommen. Flesh and
Blood wird nächstes Jahr in deutscher Übersetzung
veröffentlicht.
Vielleicht könnte sich ja auch einer der rührigen kleineren
Verlage, die seit einiger Zeit die Krimiszene bereichern, um die
Rechte an John Harveys früheren Büchern bemühen.
Schließlich finden wir Robert B. Parkers
neues Abenteuer des Bostoner Privatermittlers Spenser, früher
immerhin Held einer Fernsehserie, auch nicht mehr im Angebot einer
großen Taschenbuchfabrik, sondern im feinen Programm des
Bielefelder Pendragon-Verlags. Das mag natürlich auch daran
liegen, dass private Ermittler momentan keine gute Konjunktur
zu haben scheinen. Dabei ist es so entspannend, den guten Spenser
wieder einmal bei der Arbeit zu beobachten. Der Fall ist klassisch:
Ein Bankier wird ermordet, seine junge Witwe ist die Hauptverdächtige.
Spenser soll ihre Unschuld beweisen. Bei seinen Nachforschungen
stößt der wackere Detektiv auf eine ganze Reihe habgieriger
und gewaltbereiter Zeitgenossen, und am Ende hat er eine ziemlich
perfide Intrige aufgedeckt.
Doch das Vergnügen an Krimis dieser Art beruhte ja schon
immer weniger auf der Originalität des Plots als auf dem
Zusammenspiel von lakonischer Beschreibung und scharfen Dialogen.
Wie man eine kriminelle Handlung als Vorwand nutzt, um einen ausgiebigen
politisch-philosophischen Diskurs an den Leser zu bringen, zeigt
Jürgen Lodemanns neuer Roman NORA
und die Gewalt- und Liebessachen. Im Juni 1980 kommt die Queen
nach Essen, und eine Gruppe von Polit-Aktivisten, unter ihnen
ein irisch-republikanischer Hitzkopf, plant eine Entführung.
Allerdings nur zu Aufklärungszwecken. Man möchte der
britischen Monarchin vorführen, wie die Welt, besonders in
der nordirischen Provinz des Vereinigten Königreiches, beschaffen
ist. Die Sache geht natürlich schief. Aber das darf man ruhig
vorher wissen. Denn Lodemanns Buch ist eben keine gewöhnliche
Erzählung vom Verbrechen, sondern ein sprachlich virtuoser
Traktat über die Unzulänglichkeit der menschlichen Verhältnisse.
Dass wir in einer großen, keinesfalls guten Gesellschaft
leben, führt uns auf schlichtere Weise, aber durchaus eindrucksvoll,
Walter Wolters neuer Roman über
den Ex-Boxer und Privatdetektiv Bruno Schmidt vor. Wer unter dem
rätselhaften Titel Zur Hölle mit den Wanderfalken
eine anti-ornithologische Kampfschrift vermutet, wird schon bald
eines Besseren belehrt. Es geht um Söldner, Soldaten auf
eigene Rechnung, die vor allem in Afrika ihre blutige Dienstleistung
ausüben. Trainiert werden die selbsternannten "Wanderfalken"
allerdings in Europa, an der deutsch-französischen Grenze.
Ein Freundschaftsdienst für den unter Mordverdacht stehenden
Bruder seiner Freundin bringt Bruno Schmidt in lebensgefährlichen
Kontakt mit dieser immer gewaltbereiten Spezies. Wolter erzählt
unaufwendig und routiniert, aber mit viel Sinn für Ironie
und Überraschungseffekte.
Aufs Erzählen versteht sich auch Martin
Suter, der Erfolgsautor aus der Schweiz. In seinem neuen
Roman Der Teufel von Mailand verschlägt es die Physiotherapeutin
Sonia in ein Luxushotel im Engadin. Hier versucht sie Abstand
von ihrem bisherigen Leben zu gewinnen, vor allem von ihrer gescheiterten
Ehe mit einem wohlhabenden Bankier.
Doch wie man es erwartet, wird daraus so recht nichts. Denn das
kleine Bergdorf, in dem das Hotel gerade neu eröffnet hat,
ist alles andere als eine Idylle. Misstrauisch werden Gäste
und Angestellte beobachtet. Und dann beginnt die Reihe der seltsamen
Vorfälle, die, wie Sonia zu ihrer Bestürzung herausfindet,
den Vorhersagen einer alten Sage entsprechen.
Was klingt wie ein moderner Schauerroman, ist auch einer. Martin
Suter versteht es vorzüglich, den Leser in die Psyche seiner
Heldin zu ziehen, das macht das Buch so spannend. Denn Sonia verfügt
nicht nur über ein phänomenales visuelles Gedächtnis,
seit einem unglücklich verlaufenen LSD-Trip ist auch ihre
Sinneswahrnehmung auf bemerkenswerte Weise gestört. Da sind
Zweifel an dem, was man gemeinhin für die Wirklichkeit hält,
vorprogrammiert. Dass am Ende des Romans eine auch Rationalisten
befriedigende Lösung für die rätselhaften Ereignisse
vorliegt, mag mancher Leser allerdings wie eine kalte Dusche empfinden.
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: Schrei
nicht so laut. Roman. Übersetzt von Sophie Kreutzfeldt.
496 Seiten. dtv. München 2007. € 9,90.
: Die
blonde Witwe. Ein Auftrag für Spenser. Roman. Übersetzt
von Emanuel Bergmann und Tanja Mushenko. 224 Seiten. Pendragon.
Bielefeld 2006. € 9,80.
: NORA
und die Gewalt- und Liebessachen. Roman. 286 Seiten. Asso.
Oberhausen 2006. € 19,90.
: Zur
Hölle mit den Wanderfalken. Roman. 303 Seiten. Gollenstein.
Blieskastel 2005. € 19,90.
: Der
Teufel von Mailand. Roman. Diogenes. 297 Seiten. Zürich
2006. € 19,90.
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