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Mord & Totschlag 50
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

In den guten alten Zeiten, als das Fernsehen noch auf zwei Kanälen in schwarzweiß sendete, gab es zwei Krimitage in der Woche. Das zweite Programm brachte gewöhnlich dienstags um neun Serien wie "Mit Schirm, Charme und Melone" oder "Solo für O.N.C.E.L.", während am Freitag in der ARD David Janssen alias Richard Kimble auf der Flucht war. Daneben liefen im Vorabendprogramm halbstündige Episoden solcher Klassiker wie "Dezernat M" (mit Lee Marvin) oder "Der Mann mit dem Koffer". Im Vergleich zur Importware aus Großbritannien oder den USA war der Anteil selbst produzierter Krimireihen wie "Graf Yoster gibt sich die Ehre" oder "Die seltsamen Methoden des Franz-Josef Wanninger" eher gering.
Das änderte sich erst am 3. Januar 1969. Zum ersten Mal ermittelte mit Erik Ode als "Der Kommissar" ein deutscher Serienheld im Abendprogramm. Nicht ganz zwei Jahre später ging im ersten Programm der "Tatort" auf Sendung, und seitdem ist es um die Dominanz anglo-amerikanischer Krimiserien geschehen. Heute kann der interessierte Zuschauer an fast jedem Abend Zeuge fiktionaler Verbrechen aus einheimischer Produktion werden. Straftaten aus fernen Ländern hingegen finden nur noch zu nachtschlafender Zeit den Weg auf unsere Bildschirme. Und nicht selten werden auch hoch gelobte Serien zu Flops. So geschah es beispielsweise dem in seinem Entstehungsland außergewöhnlich erfolgreichen Mafia-Epos "Die Sopranos". Die Gründe sind, folgt man dem Literaturwissenschaftler Michael Rohrwasser, kultureller Natur. Weder sei uns die Mafia-Tradition geläufig, noch könnten Deutsche viel mit dem ausgiebig vorgeführten Familienleben der organisierten Gangster anfangen. Aber gab es vergleichbare Probleme früher nicht? War dem deutschen Fernsehpublikum der sechziger Jahre das skurrile England einer Emma Peel weniger fremd als heutigen Zuschauern die Anwandlungen eines fetten Mafioso, der gerührt den Enten in seinem Gartenteich zuschaut, wenn er nicht gerade einem säumigen Schuldner die Knochen bricht?
Wahrscheinlich verhält es sich schlicht so, dass es angesichts von zwei Kanälen keine große Auswahl gab. Vielleicht hätte unter anderen Umständen ein Simon Templar oder John Drake schon damals keine Chance gegen den "Bullen von Tölz" gehabt. Rohrwassers Aufsatz über den "Mob auf der Couch" findet sich in dem lesenswerten Sammelband MedienMorde, der sich nicht nur, aber vor allem mit dem Fernsehkrimi beschäftigt. Herausgeber Jochen Vogt hat selbst einen umfangreichen Text über die "Tatort"-Reihe als "wahrer deutscher Gesellschaftsroman" beigesteuert, der für zukünftige Forschungsvorhaben so manche Anregung parat hält.
Nicht geschadet hat die unheimliche Vermehrung der Fernsehkrimis offenbar dem Buchmarkt. Seit die Verlage entdeckt haben, dass man Kriminalromane auch in gebundenen Ausgaben verkaufen kann, blüht auch hier das Geschäft. Vor allem dickleibige Schmöker nicht unter 500 Seiten erfreuen sich wachsender Beliebtheit bei Lesepublikum und Kritik. Da möchte man fast wieder die Zeiten herbeisehnen, als ein Taschenbuchkrimi nicht mehr als 160 Seiten haben durfte und notfalls der Lektor mit rabiaten Kürzungen dafür sorgte, dass diese Grenze eingehalten wurde. Erzählökonomisch jedenfalls sind die ziegeldicken Wälzer nicht selten missraten. In Henning Mankells Erfolgsroman Die fünfte Frau beispielsweise lernen wir ziemlich zu Anfang eine interessante Figur kennen. Ausführlich wird ein Gedichte schreibender Autohändler vorgestellt, dummerweise kurz bevor ihn jemand gewaltsam zu Tode bringt. Warum dieser Aufwand? Hat man ihn seiner Lyrik wegen umgebracht? Oder war es die Rache eines geprellten Autokäufers? Wer den Roman kennt, weiß, dass nichts von alledem zutrifft. Aber was treibt Mankell dazu, auf sieben Seiten in die Psyche einer Figur einzudringen, die uns übrigens nicht mit einem Gedanken verrät, weshalb sie dran glauben muss? Geht es darum, Atmosphäre zu schaffen? Will der Autor signalisieren, dass wir es nicht mit einem stinknormalen Krimi zu tun haben? Dabei ist die Darstellung durchaus packend, und man beginnt automatisch, sich für die Figur zu interessieren. Welch eine Verschwendung!
Regelrecht ärgerlich wird es, wenn ausgiebige Charakterisierungen gar keine Konsequenz haben, wie im Fall des Nachtportiers Werner Hegemann in Jan Seghers' Erfolgsroman Ein allzu schönes Mädchen, den der Autor, kaum hat er seine Schuldigkeit getan und die erste Leiche gefunden, wieder von der Bühne verschwinden lässt.
Sein Verlag behauptet übrigens, Seghers (d. i. Matthias Altenburg) schreibe in der Tradition von Simenon, Dürrenmatt und Mankell. Das stimmt bestenfalls für den letztgenannten Autor. Georges Simenon nämlich war ein äußerst ökonomischer Erzähler, wie man jetzt wieder an den Neuausgaben seiner Werke bei Diogenes überprüfen kann. Simenons Maigret-Romane beispielsweise beschränken sich auf 150 bis 220 Seiten, ohne dass man als Leser das Gefühl eines Substanzverlustes hätte. Der Erzähler bleibt immer nah an seinem Helden, übernimmt dessen Wahrnehmung. Die psychologische Deutung von Tat und Motiv ist das Ziel der Ermittlungen. Auch wenn es dem Leser nicht immer leicht fällt, Maigret zu folgen, da dieser weitgehend intuitiv vorgeht, wird das Gefühl vermittelt, viel mehr zu erfahren, als tatsächlich im Text steht. Das ist wahre Meisterschaft.

 

Jochen Vogt (Hrsg.): MedienMorde. Krimis intermedial. 270 Seiten. Fink. München 2005. € 27,90.

Henning Mankell: Die fünfte Frau. Roman. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. 541 Seiten. DTV. München 2005. € 6,-.

Jan Seghers: Ein allzu schönes Mädchen. Roman. 480 Seiten. Rowohlt. Reinbek 2005. € 9,90

Georges Simenon: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän. Roman. Aus dem Französischen von Annerose Melter. 217 Seiten. Diogenes. Zürich 2005. € 7,90.

Georges Simenon: Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet. Roman. Aus dem Französischen von Roswitha Plancherel. 192 Seiten. Diogenes. Zürich 2005. € 7,90.