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Mord & Totschlag 46
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Vor einiger Zeit äußerte sich die durch ihre Venedig-Romane um den edlen Commisario Brunetti zu einigem Ruhm gelangte amerikanische Autorin Donna Leon in der International Herald Tribune über ihre Arbeit. Sie finde es geradezu lächerlich, wenn sich Literaturwissenschaftler ernsthaft mit Kriminalromanen beschäftigen würden. Krimis zu verfassen sei schließlich keine Kunst, sondern Handwerk. Ohne nun diskutieren zu wollen, wo da die genaue Grenze zu ziehen wäre, ist eine solche Einstellung zu begrüßen. Der literarische Anspruch mag den Autor adeln, dem Kriminalroman tut er oft gar nicht gut. Wer sich selbst davon überzeugen möchte, sollte Nachtfahrt, das mittlerweile zwei Jahre alte Debüt Jan Costin Wagners, lesen. Dieses eitle Selbstporträt eines Mörders als amoralischer Künstler gibt sich so finster, dass es beinahe schon komisch ist. Für Motivforscher würde sich übrigens der Vergleich mit Daniel Kehlmanns Erfolgsroman Kaminski und ich (Suhrkamp, kein Krimi) lohnen.
Aber zurück zu den Handwerkern. Einer der fleißigsten unter ihnen ist der Brite Andrew Taylor. Vor mehr als zwanzig Jahren debütierte er mit Caroline Miniscule, einer leicht grotesken Mordgeschichte um einen verborgenen Schatz. Mittendrin steckt, zunächst wider Willen, der charmante William Dougal, ein junger Mann von außergewöhnlichen Fähigkeiten. Diese waren ihm selbst allerdings unbekannt, bis er Professor Gumper, der Dougals Dissertation über frühmittelalterliche lateinische Texte betreut, ermordet in dessen Arbeitszimmer auffindet und sich aus unerfindlichen Gründen entschließt, nicht die Polizei zu rufen. Schon bald gibt es mehr Tote, und für manche Leiche trägt sogar unser Held die Verantwortung. William Dougals Verwandtschaft mit Patricia Highsmiths berühmtem Mörder Tom Ripley ist in diesem ersten Roman nicht zu übersehen, doch da Andrew Taylor ihn noch in sieben weitere Abenteuer verwickelt, hat er genügend Zeit, ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Leider sind die Dougal-Romane auch im Original nur antiquarisch zu beschaffen, ins Deutsche übersetzt wurden sie meines Wissens nie. Es würde sich lohnen.
Aber Andrew Taylor ist nicht nur fleißig, sondern auch vielseitig. In seiner Lydmouth-Serie gelingt ihm ein authentisches Porträt einer englischen Kleinstadt in den fünfziger Jahren, und die Trilogie Requiem for an Angel ist das erzähltechnische Meisterstück eines Kriminalromans mit umgekehrter Chronologie. Diese Geschichte einer mörderischen Familienkatastrophe beginnt in den neunziger Jahren, um von dort in archäologischer Manier die Jahrzehnte zurückliegenden Hintergründe zu erhellen. Dabei ist jeder Band der Trilogie auch für sich lesbar. Obwohl Andrew Taylor (die Lydmouth-Romane allerdings nicht komplett und in veränderter Reihenfolge) schon lange in deutscher Übersetzung vorliegt - bei Goldmann und bei Zsolnay -, ist er für hiesige Leser noch immer zu entdecken.
Dass das Vergangene nicht vergehen will, davon weiß fast alle Detektivliteratur. Wenn Hercule Poirot oder Nero Wolfe zum guten Ende alle Verdächtigen versammeln, kommt nicht nur die Gelegenheit zur Sprache, sondern eben auch das plausible Motiv. Und das kann eine sehr lange Geschichte haben. In Anne Chaplets neuem Roman Schneesterben ist es mehr als zwei Jahrzehnte her, dass ein kleiner Junge von zwei wenig Älteren auf grausame Weise umgebracht wurde. Aber noch immer hat dieses unerhörte Ereignis die Kraft, Leben zu zerstören. Und kein souveräner Ermittler weit und breit, der das Geheimnis zur Zufriedenheit der Überlebenden lüften würde, im Gegenteil. Jeder weiß ein bisschen, und als am Ende ein Täter präsentiert wird, bleibt Beklemmung. Übrigens auch beim Leser, der noch am meisten mitbekommt und bei richtiger Deutung aller Hinweise schon bald des Rätsels Lösung ahnt.
Doch das mindert die Spannung, die von diesem Buch, nicht zuletzt dank seiner multiperspektivischen Erzählkonstruktion, ausgeht, überhaupt nicht. Schneesterben hält, was die vorhergehenden vier Romane der Frankfurter Autorin Cora Stephan unter dem Pseudonym Anne Chaplet versprachen. Es gibt in Deutschland Kriminalliteratur, sogar solche, die in der tiefsten hessischen Provinz spielt, die sich im internationalen Vergleich ohne weiteres behaupten kann. Und das ist vor allem eine Frage des Handwerks.
Dieses beherrscht übrigens auch ein Autor vortrefflich, der Ihrem Kolumnisten bislang entgangen ist. Der frühere Zeit-Redakteur Horst Bieber hat laut Verlagsinformation bislang vierzehn Krimis geschrieben, und wenn alle so amüsant und spannend sind wie die just erschienene Detektivstory Beas Beute, ist solche Ignoranz sträflich. Rolf Kramer ist ein sympathischer Privat-Ermittler, der sich zu behaupten weiß. Kein Supermann, aber einer, der sich auf das versteht, was er tut. Während in vergleichbaren Krimis in der Regel mindestens ein Kapitel darauf verwendet wird, den übel verprügelten Detektiv beim Kampf mit dem Schmerz zu zeigen, bleibt Kramer frei von Blessuren. Bösartiger Messerstecher und tückischer Blondinen erwehrt er sich mit der gleichen ironischen Eleganz. Und manchmal erteilt er sogar dem Konkurrenzpersonal kostenlose Nachhilfe in praktischer Detektivarbeit. Dass Kramer außerdem den komplizierten Fall um Betrug, Raub und Mord zufriedenstellend löst, versteht sich von selbst. Im Vergleich mit Anne Chaplets mindestens viergängigem Menü serviert Horst Bieber zugegeben leichte Kost. Aber auch deren Zubereitung will gelernt sein, damit wie in diesem Fall ein Lesegenuss ohne Reue draus wird.

 

Jan Costin Wagner: Nachtfahrt. Roman. 217 Seiten. Eichborn. Frankfurt am Main 2002. € 17,90.

Andrew Taylor: Verblühte Rosen. Roman. Aus dem Englischen von Ute Thiemann. 416 Seiten. Goldmann. München 2002. € 8,90. (Lydmouth-Serie)
Die vier letzten Dinge. Roman. Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann. 384 Seiten. Goldmann. München 2002. € 9,00.
Das Recht des Fremdlings. Roman. Aus dem Englischen von Sonja Hauser. 409 Seiten. Goldmann. München 2002. € 8,90.
Eine Messe für die Toten. Roman. Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann. 400 Seiten. Zsolnay. München & Wien 2002. € 21,50.

Anne Chaplet: Schneesterben. Roman. 316 Seiten. Antje Kunstmann. München 2003. € 19,00.

Horst Bieber: Beas Beute. Krimi. 263 Seiten. Grafit. Dortmund 2003. € 8,90.