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Mord & Totschlag 47
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

In einer kalten Winternacht des Jahres 1961 träumt die Autorin von Mord. Es ist nicht das erste Mal. Mit einer Axt erschlägt sie eine alte Frau. Ein Motiv vermag sie bei ihrer Verhaftung nicht anzugeben, dennoch hat die Polizei keinen Zweifel an ihrer Täterschaft.
Das ist kaum ein Traum, den man am Morgen beim Frühstück erzählen wird. Die Autorin vertraut ihn ihrem Notizbuch an und interpretiert ihn als Ausdruck der Angst, dass sie eines Tages wirklich eine solche Tat begehen könnte. Zum Glück ist es zu diesem Verbrechen nicht gekommen, zumindest nicht in der Realität. Patricia Highsmith, denn um sie handelt es sich hier, verstand es, den Wahn, der hinter der Alltäglichkeit lauert, literarisch darzustellen. Davon zeugen so großartige Romane wie Zwei Fremde im Zug, Lösegeld für einen Hund oder Der talentierte Mr. Ripley, die der Diogenes Verlag in seiner vielgepriesenen Werkausgabe neu übersetzt zugänglich macht. Dass dieser deutschsprachigen Edition kein vergleichbares Pendant der Originalfassungen vorliegt, ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass Patricia Highsmith im englischen Sprachraum nie die erfolgreiche Autorin war, als die sie ihre Leser hierzulande kennen. Vor allem das amerikanische Publikum empfand ihre Romane als zu düster und zu amoralisch. Zu gering ist die erzählerische Distanz zu einer Figur wie dem Mörder Ripley, und es ist auch nicht anzunehmen, dass die zynische Komik eines Romans wie Ripley Under Ground auf große Gegenliebe gestoßen ist. Highsmith selbst hingegen fiel es überhaupt nicht schwer, sich mit ihrem mörderischen Helden zu identifizieren.
Dass die große Erforscherin menschlicher Abgründe selbst kein besonders liebenswertes Exemplar der Gattung war, lässt sich auf den über 700 Seiten der im letzten Jahr erschienenen Highsmith-Biographie des englischen Journalisten Andrew Wilson im Detail studieren. Schwierig im Umgang, bizarr in ihren Verhaltensweisen und mit einer Neigung zu antisemitischen und rassistischen Ausfällen erscheint Patricia Highsmith in dieser akribisch recherchierten Lebensbeschreibung nicht selten wie eine Figur aus ihren Romanen.
Nun kann auch der Rezensent nicht leugnen, dass ihm nicht selten Kriminalromane lieber sind, die mit klaren Identifikationsfiguren aufwarten können. Auch wenn die Welt nach der Aufklärung des Verbrechens natürlich nicht wieder in Ordnung ist, erfreut man sich gerne am Einsatz eines einzelnen Ermittlers für Wahrheit und Gerechtigkeit. Allein in einen Sumpf von Korruption und Verbrechen schickt zum Beispiel Jacques Berndorf den jungen Staatsanwalt Jochen Mann. Schon in seinen Eifel-Krimis beleuchtete der ehemalige Journalist Berndorf gerne die kriminellen Seiten von Politik und Wirtschaft, und wenn man seinen neuen Roman Die Raffkes liest, scheint es einem, als wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, dass er sich einer der großen Affären der politischen Gegenwart zuwenden würde, dem Skandal um die Geschäfte der Berliner Bankgesellschaft, von dem sich die Hauptstadt noch lange nicht erholt hat. Herausgekommen ist ein respektabler Politthriller, in dem Berndorf zeigt, dass er sich nicht nur auf provinziellem Terrain sicher bewegt.
Ins Minenfeld der Politik begibt sich auch Kostas Charitos von der Athener Kriminalpolizei. Obwohl der Leiter der Mordkommission sich nach einer Schussverletzung im Genesungsurlaub befindet, wird er zur Ermittlung in einem rätselhaften Fall von Selbstmord herangezogen. Ein erfolgreicher Bauunternehmer, zur Zeit der griechischen Militärdiktatur im linken Widerstand aktiv, hat sich während einer Fernsehsendung vor den laufenden Kameras erschossen. Schon bald taucht die Erklärung einer rechtsradikalen Organisation auf, die behauptet, den Geschäftsmann in den Suizid getrieben zu haben, weil er auf seinen Baustellen billige ausländische Arbeitskräfte beschäftigt. Und es bleibt nicht bei einem Toten ... Charitos hat seine Zweifel an dem Bekennerschreiben und beginnt hartnäckig zu recherchieren. Schon bald führen ihn seine Nachforschungen in die Vergangenheit, als die Militärherrscher Griechenlands Regimegegner brutal verfolgten, einkerkerten und folterten. Die Auflösung wird Charitos am Ende ohne großes eigenes Zutun präsentiert, sie ist traurig und wenig befriedigend für Freunde poetischer Gerechtigkeit. Und dies nicht deshalb, weil der Autor Petros Makaris es versäumt, alle ausgelegten Fäden sauber zu verknüpfen, im Gegenteil. Die kleinen handwerklichen Schwächen werden durch den Gesamteindruck dieses bemerkenswerten Kriminalromans wettgemacht, zu dem unbedingt sein schmerzhafter Schluss gehört. Zur Atmosphäre trägt auch bei, dass Makaris seinen Helden im selten benutzten Präsens von seinen Ermittlungen erzählen lässt. Dass Charitos zudem über einen relativ normalen familiären Hintergrund und nur wenige skurrile Angewohnheiten, eine Vorliebe für süßen griechischen Mokka und für alle Arten von Wörterbüchern verfügt, macht ihn so sympathisch, dass der Rezensent sich dringend über seine ersten beiden Fälle zu informieren gedenkt.
Über Raymond Chandlers prototypischen Ermittler Philip Marlowe muss man Krimilesern nichts mehr erzählen. Auch wer weder Das hohe Fenster noch Der große Schlaf gelesen hat, kennt die einschlägigen Verfilmungen mit Humphrey Bogart oder Robert Mitchum. Oder ist einem der vielen hartgesottenen, aber sentimentalen Privatdetektive begegnet, die sich an dem großen Vorbild orientieren. Bevor Marlowe das Licht der Welt erblickte, hatte Chandler mit ähnlichen Figuren experimentiert. Eine davon ist Jonny Dalmes, der in der Erzählung Bay Street Blues wieder einmal bestätigt bekommt, was alle Chandler-Helden wissen, nämlich, dass wir in einer großen, aber keineswegs guten Gesellschaft leben. Nun hat der Synchronroutinier Christian Brückner, dessen Stimme sich in diesen Tagen immer schwieriger entkommen lässt, die Geschichte aufgenommen. Da stimmt die Atmosphäre, und man hört gerne zu, auch wenn einen fast drei Stunden lang das Gefühl nicht verlässt, Robert De Niro würde sich an der Rolle des edlen Schnüfflers versuchen. Aber das wäre ja keine schlechte Idee, sollte jemand auf die Idee kommen, Chandlers Klassiker wieder einmal zu verfilmen.

 

Andrew Wilson: Schöner Schatten. Das Leben von Patricia Highsmith. Aus dem Englischen von Anette Grube und Susanne Röckel. 746 Seiten. Berlin Verlag. Berlin 2003. € 36,00.

Jacques Berndorf: Die Raffkes. Kriminalroman. 347 Seiten. Grafit. Dortmund 2003. € 9,90.

Petros Markaris: Live! Ein Fall für Kostas Charitos. Roman. Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. 517 Seiten. Diogenes. Zürich 2004. € 22,90.

Raymond Chandler: Bay City Blues. Gelesen von Christian Brückner. 2 CDs. Parlando. Hamburg 2004. € 22,90.