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Mord & Totschlag 45
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Kriminalromane zu rezensieren ist ein einsames Geschäft. Mehr noch als der gewöhnliche Literaturkritiker verortet sich der professionelle Leser von Spannungsliteratur abseits der krimikonsumierenden Massen. Die lesen nämlich weiter Donna Leon, mag er auch noch so oft Magdalen Nabb oder Michael Dibdin als bessere Alternativen empfehlen. Das schmerzt ihn, stärkt aber auch sein Selbstbewusstsein.
Besonders kritisch wird er, wenn andere über Kriminalliteratur schreiben, sich gar dazu aufschwingen, ein Krimi-Lexikon herauszugeben. Da er weiß, dass seit Jochen Schmidts lange vergriffenem Standardwerk Gangster, Opfer, Detektive kein vernünftiger Überblick mehr auf den Markt gekommen ist, wünscht er sich durchaus ein entsprechendes Nachschlagewerk, kann sich aber schon denken, was dabei herauskommen wird: Schlecht geschriebene Inhaltsangaben von Bestsellern füllen Seite um Seite, während den stilprägenden Autoren des Genres vielleicht eine Spalte gegönnt wird. Und wahrscheinlich wird auch noch jedes Mal der Täter verraten.
Wenn er dann das Buch aufschlägt und feststellt, dass er recht hatte, ist die Befriedigung eher gering. Deshalb an dieser Stelle nur der Hinweis, dass Reclams Krimi-Lexikon vor allem für Leute interessant ist, die immer wieder vergessen, in welchem Roman von Henning Mankell ein kleiner Bursche in Indianerverkleidung all diese grässlichen Morde begeht.
Dabei ist Ihr Mord- und Totschlag-Kolumnist gar kein prinzipieller Verächter von Massenware. Vor allem für die beliebten Regionalkrimis hat er eine Schwäche. Ob sie in der Eifel oder am Niederrhein, im Münsterland oder im Ruhrgebiet spielen: Dem vertrauten Personal, der - trotz der unvermeidlichen Häufung von Gewaltverbrechen - anheimelnden Atmosphäre und dem gradlinigen Erzählstil dieser Romane vermag er ebensowenig zu widerstehen wie einer großen Pommes-Currywurst mit extraviel Mayo. Die Reue allerdings stellt sich in beiden Fällen manchmal schon während des Genusses ein. Verbrutzelte Würste, zu kalte Mayonnaise und Pommes, die zu lange in der Friteuse waren, können einem so manche Exkursion zum Schnellimbiss vergällen. Und wenn ein Routinier wie Reinhard Junge in Glatzenschnitt, seinem achten Krimi um die Hobbydetektive vom Videoteam Pegasus außer wohlfeilem Antifaschismus nur eine hanebüchene Geschichte zu bieten hat, trösten einen auch die Privataffären seiner Serienhelden nicht mehr. Als Junge die Reihe noch zusammen mit Leo P. Ard (d. i. Jürgen Pomorin) schrieb, waren die Bücher dünner und witziger. Ein Roman wie Das Ekel von Datteln hielt die Waage zwischen Satire, Kritik am Ruhrpottfilz und Krimihandlung. Die beinahe 400 Seiten von Glatzenschnitt dagegen überfordern die erzählerischen Möglichkeiten ihres Autors beträchtlich.
Nahrhafter ist da der zweite Münsterland-Krimi von Georg Veit, nicht nur, weil sein Held ein begeisterter Hobbykoch ist. Wieder einmal gerät Peter-Paul Pfühl, ein gewöhnlich eher wenig engagierter Studienrat, wider Willen in kriminelle Verstrickungen. Tote Hähne, gentechnische Versuche und ein holländischer Psychopath mit sadistischen Neigungen sorgen für eine turbulente, von der Hauptfigur selbst mit bewährter Kaltschnäuzigkeit erzählte Geschichte.
Auch Autoren von Kriminalromanen schreiben gerne über Dinge, die sie kennen. Da allerdings die wenigsten von ihnen mit wirklichen Verbrechern zu tun haben, müssen sie ihre persönlichen Erfahrungen eben im "Ambiente" unterbringen. So kommt es wohl, dass Georg Veits Held wie sein Schöpfer dem eher unspektakulären Lehrerberuf nachgeht. Aufregender ist es wahrscheinlich, wenn man wie der amerikanische Autor C. J. Box Jagdaufseher in den Rocky Mountains ist. Da wundert es wenig, dass in Boxs Krimidebüt Keine Schonzeit ein tapferer Wildhüter namens Joe Pickett die Hauptrolle spielt, der keine Gefahr scheut, um einer Bande skrupelloser Geschäftemacher das Handwerk zu legen. Diesen Schurken sind nicht nur die letzten Exemplare des längst ausgestorben geglaubten Miller-Wiesels vollkommen egal, sie räumen auch ohne langes Zaudern Menschen aus dem Weg, die ihre profitträchtigen Pläne zum Bau einer Erdgas-Pipeline behindern könnten. Boxs spannender Öko-Krimi profitiert gleichermaßen von den beruflichen Kenntnissen seines Autors wie von einem Erzähltalent, das der nicht unbedingt neuen Geschichte vom Kampf eines nicht-korrumpierbaren Gesetzeshüters gegen eine scheinbar übermächtige kriminelle Verschwörung eine interessante Variante abgewinnt.
Mit Sekundärliteratur begann diese Kolumne, mit Sekundärliteratur soll sie enden. Der rührige Wuppertaler NordPark-Verlag betreibt nicht nur mit den "Alligatorpapieren" (www.alligatorpapiere.de) die informativste Krimi-Website im Internet, sondern publiziert in seiner Buchreihe "KrimiKritik" Beiträge zur Erforschung des Genres. Band 2 präsentiert die erste deutschsprachige Monographie über John le Carré, den Großmeister des literarisch anspruchsvollen Spionagethrillers. Vor allem die umfangreiche Bibliographie macht das Bändchen zu einer unverzichtbaren Informationsquelle für alle, denen Kriminalliteratur mehr bedeutet als leichtes Lesefutter.

 

Klaus-Peter Walter (Hrsg.): Reclams Krimi-Lexikon. 485 Seiten. Reclam. Ditzingen 2002. € 28,90.

Reinhard Junge: Glatzenschnitt. Kriminalroman. 380 Seiten. Grafit. Dortmund 2002. € 9,90.

Georg Veit: Hahnenkampf. Ein Krimi aus dem Münsterland. 199 Seiten. Waxmann. Münster 2002. € 12,70.

C. J. Box: Keine Schonzeit. Roman. Aus dem Amerikanischen von Andreas Heckmann. 316 Seiten. Blanvalet. München 2002. € 7,90.

Jost Hindersmann: John le Carré. Der Spion, der zum Schriftsteller wurde. Portrait und Bibliographie. 107 Seiten. NordPark. Wuppertal 2002. € 11,00.