Der humoristische Schriftsteller Wiglaf Droste
hat sich einmal die Mühe gemacht, alle Passagen in einem
von Henning Mankells Wallander-Romanen zusammenzustellen, in denen
der zuckerkranke Kommissar zu belegten Broten greift. Die chronische
Melancholie des beliebten Ermittlers scheint also nicht nur von
den grausigen Mordfällen herzurühren, mit denen er befaßt
ist, sondern auch von seinen Ernährungsgewohnheiten. Sein
Kollege Sten Wall nämlich, ein sympathischer Vielfraß,
ist ein beängstigend gut gelaunter Zeitgenosse. Doch das
Debüt des übergewichtigen Kriminalisten auf dem deutschen
Krimimarkt fällt, auch wenn sich in Björn
Hellbergs Roman Ehrenmord die Küche Skandinaviens
von ihrer besten Seite zeigt, eher dürftig aus. Während
seines Sommerurlaubs auf Bornholm wird Wall von einem verwirrten
Menschen mit Mordabsichten verfolgt. Daß dieser Psychopath
hier nicht seinen ersten Mord plant, macht das biedere Erzählstück
nicht spannender. Hellbergs Plotidee hätte sich nämlich
schon auf 50 Seiten erschöpft, würden wir nicht mit
jeder Menge uninteressanter Schilderungen aus dem Alltag schwedischer
Polizeibeamter behelligt. Da beobachtet man tatsächlich lieber
den mürrischen Wallander beim Verzehren seiner Butterbrote.
Und das will etwas heißen.
Glücklicherweise gibt es Alternativen zum überhand nehmenden
Schwedenkrimi, und dies sogar im heimischen Angebot. Mit Erscheinen
ihres vierten Romans Die Fotografin hat Anne
Chaplet ihr Pseudonym gelüftet und damit für
ein bißchen Wirbel gesorgt. Der Frankfurter Publizistin
Cora Stephan also ist es in den letzten Jahren gelungen, das Niveau
der deutschen Kriminalliteratur quasi im Alleingang um einige
Zentimeter anzuheben. Unangestrengt und, nach einigen Startschwächen,
erzählerisch auf beachtenswertem Niveau bettet Chaplet ihre
Fälle in die Zeitgeschichte ein. So widmet sich Die Fotografin
den schmerzhaften Folgen des bundesrepublikanischen Terrorismus
der siebziger Jahre und nimmt dabei recht eindeutig Bezug auf
die Affäre um den in Frankreich untergetauchten früheren
Terroristen Hans-Joachim Klein. Etwaige Vermutungen allerdings,
es handle sich um einen "Schlüsselroman", weist
die Autorin in ihrem Nachwort energisch zurück und befindet
sich damit in bester realistischer Tradition. Im Zweifelsfalle
würde ihr diese Beteuerung aber auch nichts nützen.
Wie man nämlich seit dem Frühjahr weiß, kann es
manchmal ganz schön turbulent zugehen, wenn sich Personen
der Zeitgeschichte in einem Roman wiederzuerkennen meinen. Interessanterweise
hat die Auseinandersetzung um den letzten Roman von Martin Walser
auch einem zweiten Buch eine beachtliche Auflagensteigerung beschert,
und zwar Bodo Kirchhoffs Schundroman.
Angeregt durch Charles Willefords Klassiker Miami Blues,
in dem der "wohlgemute Psychopath" Frederic Frenger
"zufällig" einen Hare-Krishna-Jünger ins ewige
Nirwana befördert, läßt Kirchhoff den Starkritiker
Louis Freytag zum Zufallsopfer eines Berufskillers werden. Daß
man den Täter unter jenen Autoren sucht, die von Freytag
nicht besonders feinfühlig behandelt wurden, ergibt sich
von selbst. Nun ist der Schundroman aber weniger eine Satire
auf den Literaturbetrieb als der Versuch eines "seriösen"
Autors, einmal so richtig schrille Prosa zu schreiben. Allerdings
ohne auf Netz und doppelten Boden zu verzichten, wie die programmatische
Titelwahl zeigt. Außerdem hat Kirchhoff es versäumt,
sich von Willeford auch stilistisch inspirieren zu lassen, so
daß hier der erste "Schundroman" vorliegt, der
mit achtzeiligen Satzgefügen aufwarten kann.
Während also Produzenten "ernsthafter" Literatur
der Sehnsucht nach dem Trivialen erliegen, treibt es so manchen
Autor von Kriminalromanen zu Höherem. Ein bemerkenswertes
Beispiel ist der englische Schriftsteller Reginald
Hill, der bereits 1970 mit seinem ersten Roman um die Yorkshire-Kriminalisten
Dalziel und Pascoe debütierte. Hatte man es damals noch mit
relativ simpel gestrickten, aber nichtsdestotrotz clever erzählten
Whodunnits zu tun, so handelt es sich bei Hills Romanen der letzten
Jahre um komplexe literarische Gebilde, die vor allem durch ihren
erzähltechnischen Aufwand beeindrucken. Da bekommt man, wie
in Arms and the Women (2000, dt. Das Haus an der Klippe),
schon mal über Seiten hinweg Kostproben des schriftstellerischen
Könnens von Pascoes Ehefrau Ellie präsentiert, und es
wundert nicht, daß im vorletzten Dalziel- und Pascoe-Roman
Dialogues with the Dead, der gerade unter dem Titel Die
rätselhaften Worte auf Deutsch erschienen ist, ein wortverliebter
Serienmörder sein Unwesen treibt. Wer übrigens dieses
Buch am Ende ein wenig unbefriedigt aus der Hand legen sollte,
sei beruhigt. Es findet in dem vor einigen Monate in Großbritannien
erschienenen Death's Jest Book seine Fortsetzung, auch
in dem Sinne, daß es weiterhin schwer literarisch zugeht.
Der Rezensent hofft allerdings, daß nicht irgendwann die
Bewunderung für Reginald Hills Sprach- und Erzählkunststückchen
das Vergnügen an seinen Romanen überwiegen wird.
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: Ehrenmord.
Roman. Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt. 289 Seiten.
Argon. Berlin 2002. € 18,00.
: Die
Fotografin. Roman. 320 Seiten. Antje Kunstmann. München
2002. € 21,90.
: Schundroman.
316 Seiten. Frankfurter Verlagsanstalt. Frankfurt am Main 2002.
€ 19,80.
: Die
rätselhaften Worte. Roman. Aus dem Englischen von
Sonja Schuhmacher und Thomas Wollermann. 576 Seiten. Europaverlag.
Hamburg 2002. € 24,90.
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