Am Erker 87

 
Texte
Am Erker 87, Münster, Oktober 2024
 

Peter Zemla
Mieter

Mit der von der Maklerin erhaltenen Antwort, das sei nichts, jedenfalls nichts von Bedeutung und der Rede nicht wert, hatten sich Jürgen und Ute Knopf begnügt und die beiden einen durchaus gewichtigen Anschein erweckenden Koffer, an denen ein gerahmtes Ölbild von nicht unbeträchtlicher Größe lehnte, das das Schlachtschiff Tirpitz zeigte, schnell wieder vergessen, überwog doch die Freude nach dem über Wochen sich hinziehenden und entsprechend enervierenden, weil vergeblichen Bemühen um eine Wohnung, endlich etwas Bezahlbares gefunden und vor allem den Zuschlag für das Gefundene auch bekommen zu haben, zwei Zimmer, Küche, Bad, die, so malten es sich die seit kaum drei Monaten verheirateten Knopfs aus, die Basis für ihr künftiges Glück abgeben sollten, die Abschussrampe gewissermaßen für ihren gemeinsamen Steigflug ins Unbegrenzte, doch diesen sahen sie jäh gestoppt, als sie am Tag des Einzugs in dem einen der beiden angemieteten Zimmer einen Mann und eine Frau, etwa des gleichen Alters wie die Knopfs, antrafen, die, als die Knopfs die Tür öffneten, wie bei einer Missetat ertappt eilig Dinge in die Koffer stopften und deren Deckel zuklappen und deren Schlösser zuschnappen ließen, ehe sie sich nicht ohne den kleinlauten Unterton der Verlegenheit als Jochen und Ulla Kropf vorstellten und erklärten, in ihrer beiden Personen die Vormieter ebendieser Wohnung darzustellen, die bis zum heutigen Tage, dem Tag des Einzugs der Knopfs, nichts Immobiles und Infragekommendes gefunden und schon gar nicht in Beschlag und Besitz haben nehmen können, weshalb sie sich erlaubt hätten, so lange es irgend anginge, einen Wohnungsschlüssel besäßen sie zugegebenermaßen und nicht ganz legalerweise noch, in ihren alten vier Wänden zu hausen und, wie man so sagt, aus dem Koffer zu leben, allerdings betonten die Kropfs, die Hände zur Abwehr hebend, wollten sie in gar keinem Fall Umstände oder Aufstände machen, sie seien quasi und praktisch bereits verschwunden und bäten für die Unannehmlichkeiten jedenfalls vielmals um Entschuldigung, was nun aber Ute Knopf nicht unerwidert so stehen lassen konnte und einwendete, sie und ihr Mann wüssten zur Genüge, wovon die Kropfsche Rede gehandelt habe, und da sie und ihr Mann keine Unmenschen seien, sehen wir aus wie Unmenschen, fragte sie, woraufhin Jochen und Ulla Kropf, aber auch Jürgen Knopf die Köpfe schüttelten, sei es doch eine Selbstverständlichkeit, dass die Kropfs, so sie so freundlich wären und ihnen, den Knopfs, beim Einziehen, sprich: Schleppen und Aufstellen und Auspacken und Einrichten, helfen, bei ihnen, den Knopfs, auf deren Ausziehsofa nächtigen dürften, bis sie in den nächsten Tagen etwas Passendes gefunden hätten, sagte sie, Ute Knopf, und dachte, als sie es sagte und sich gut dabei fühlte, sogleich ein gutes Gefühl dabei hatte, wohl nicht, dass die Kombination aus etwas Passendem und der mit in den nächsten Tagen umrissenen zeitlichen Dimension sich nicht in Realien formen ließe, dass aus dem Vorübergehend ein Dauerzustand und das Ausziehsofa nach einigen Wochen gar nicht mehr eingezogen werden sollte, dass sie vier zu besten, ja unzertrennlichen Freunden würden, gemeinsame Feste feiern, bescheidene Urlaube gemeinsam verbringen, dass sie, Ute Knopf und Ulla Kropf im Abstand nur drei Tagen Kinder bekommen würden und dass in beiden Fällen nicht mit Sicherheit gesagt werden könnte, wer, Jürgen Knopf oder Jochen Kropf, der Vater sei, was aber niemanden störte, wonach niemand je fragte, als sie auf dem Ausziehsofa beieinander saßen, über dem seit langem das Bild hing, das das Schlachtschiff Tirpitz zeigte.