Am Erker 69

 

 
Texte
Am Erker 69, Münster, Juni 2015
 

Imke Müller-Hellmann
Verglühen

Nachdem Ina Thea gesagt hatte, dass sie ihre alte Jugendliebe getroffen habe und es so schön gewesen sei, so schön, saß Thea erst eine Woche weinend auf dem Badewannenrand, bevor sie Ina nach einem schweigsamen Abendessen mit dem Kaffeebecher bewarf, woraufhin sie beschlossen, den Rat einer Paartherapeutin zu suchen. Als Thea Ina nach vielen therapeutischen Sitzungen schließlich gehen ließ, fuhr Ina eine Nacht lang Auto und dachte daran, wie das gewesen war, das Wiedersehen der alten Liebe, auf dem Fest auf dem Land: der warme Abend, die Lampions, die Musik, das unerwartete, vom Himmel geholte Sternenglühen. Und als Ina nach der Fahrt mit zitternden Knien an der Tür klingelte und die Jugendliebe – endlich! – wieder vor ihr stand, waren da zwei, die sich lange kannten und sehr mochten, und sonst – Ina taumelte, als sie begriff – war da nichts. Sie saßen am Küchentisch und redeten, und später legten sie sich ins Bett, in ein- und dasselbe, drehten sich um und schliefen ein.