Doris Weininger
(Auszug)
Prolog
Er wirkte rätselhaft und undurchdringlich.
Ganz dicht war er eigentlich nicht. Er heiße Falcon und
sei Autogrammjäger. Phänomenale und überirdische
Idole seien sein Spezialgebiet. Auf der kurzen Passage von Bergen
zum Geirangerfjord sei er, da die italienische Sopranistin der
Mailänder Scala inkognito mitreise. Butterweiche Koloraturen
von unstillbarem sexuellem Appetit, bereit für jedes Katz-
und Mausspiel. DAnnunzio wäre für sie hingeschmolzen.
Er sei nicht zum Genießen hier, nicht wie die anderen, in
deren Haut die Sonne Bikinibänder brenne. Fragen Sie einen
Autogrammjäger nicht nach dem Sinn seiner Tätigkeit.
Der unbedingte Wille, ein Zeichen des bewunderten Geschöpfs
zu besitzen, treibt ihn, und bereitwillig verflucht er künstliche
Verknappung, wenn ein Künstler nur unwillig ein Autogramm
herausrückt. Es kann einem wie dem Erfinder-Genie gehen,
das inmitten seiner Werke verhungert und erst Jahrzehnte später
als unschätzbar gepriesen wird.
28. Juli 2004, München, Prinzregententheater. Ein kleiner
Mann, sicherheitsdurstige Mäuschenmiene, die Klarinette als
Schutzsäbel. Woody Allen. Die Crème de la Crème
der Autogrammjäger stand Spalier. Der Meister beschleunigte,
angetrieben von seinen Schutzbrigadiers; auf dynamische Art beschleunigte
er mit jedem Trippelschrittchen; mit leiser Rotation schraubte
er sich, von Angst aufgeplustert, wie eine fliegende Untertasse
in den Bühnenhintereingang. Woody Allen war alle Zukunftsangst
der Welt in die Augen geritzt, und wir hatten kein Autogramm!
So schwer ist es, einem knausernden, zutiefst verehrten Star ein
Autogramm abzuringen.
Der Kapitän wird an einen ausgewählten Tisch platziert.
Sein gehetztes Gesicht erstrahlt bernsteinfarben, und Anhimmelarien
und variantenreiche Plapperoperetten klingen durch den Speisesaal.
Da spielt Madame K. die Wissende, Verständnisvolle, Madame
N. fiedelt die Betriebspsychologin für gestresste Kapitäne,
und die Herren fachsimpeln über Schiffstypen und Bruttoregistertonnen.
Alle benehmen sich pubertär, als würden sie eine babylonische
Ekstase erleben. Je jünger man ist, desto mehr verehrt man,
himmelt man an. In der Schule betet man den coolen Bastard aus
der Raucherecke an, auch wenn man sofort stottert oder nicht weiß,
wohin mit den Händen. Warum sind Hausmeister in der Anhimmelhierarchie
am unteren Ende angesiedelt, während der drahtige Sportlehrer,
der ein Auslandssemester auf den Wellen des Pazifiks surfte, begehrt
wird?
Falcons unerschwinglicher Gehstock stürzt zu Boden. Die Arbeit
als Autogrammjäger fordert ihren gesundheitlichen Tribut.
Kombinatorik müsse man mit funkelnder Pfiffigkeit verbinden,
sonst schlage ein schamloser Autogrammkonkurrent vor einem zu.
Er werde mir seine Arbeit in vier Etappen darlegen, zuvor aber
die Geschichte des Malers Magritte und des Dichters Apollinaire
erzählen, um zu zeigen, wohin Idolverehrung führen könne.
Beide waren glühende Verehrer des Gangsters Fantômas,
der mit dem Journalisten Fandor und dem Kommissar Juve im Kampf
lag. Ein selbstsicherer, schlauer, brutaler Räuber im exquisiten
blauen Zwirn; ein Verbrecher mit Stil. Literat und Maler waren
beinahe pathologisch in den fiesen Filmschurken vernarrt. Von
Apollinaire sei bekannt, dass er Probleme hatte, Menschen für
sich einzunehmen und sie zu fesseln. Er gebärdete sich wie
ein Kind, als er erfuhr, Magritte habe eine Fantômas-Devotionalie
ersteigert. Er bat daraufhin Freunde, ihm eine Ehrenerklärung
auszustellen, wonach eigentlich ihm die Reliquie zustehe. Die
Freundschaft beider Künstler lag daraufhin jahrelang auf
Eis. Magritte war angezogen von der verbrecherischen Kunstfigur;
sie war für ihn ein Genie des Bösen. Schauen Sie sich
die Werke Le retour de flamme und Le Barbare an,
den maliziös mit den Augen zupackenden Fantômas, wie
er hochgereckten Hauptes über die Stadt blickt. Beide Künstler
beteten diese Kunstfigur an. Hatte sich Apollinaire etwas von
seinem Idol gesichert, bekam er für einen Moment feuchte
Augen. Dann brach ein Lachen wie Sprengstoff aus ihm heraus, denn
es begeisterte ihn, Magritte übertrumpft zu haben.
(...)
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