Texte
Am Erker 49, Münster, Juni 2005
 

Charlotte Mutsaers
Weihnachtsfest der Hühner

Hühner haben ein Herz, ein Hirn, eine Leber, Nieren, Lungen, Gedärme, Augen, Ohren, eine Zunge, Beine, Nägel, Knochen, Knöchelchen, Haut, ein Kackloch, einen Magen, einen Hals, eine Stimme ... alles genau wie wir. Weshalb sollten sie dann nicht auch Weihnachten feiern.
Eigentlich gehört das Weihnachtsfest der Hühner nicht in den Rahmen dieses Buches. Aber Rahmen sind dazu da, gesprengt zu werden. Und das Hühnerweihnachtsfest ist schnell erzählt: erzwungener Friede.

Menschen essen gern oft und reichlich Huhn. Wie die Hühner schmecken, ist ihnen schnurz. Welchen Mist und was für Medikamente sie dabei mit verschlungen haben, ist ihnen noch schnurzer. Und ob die ein schönes Leben hatten, darüber machen sie sich keinen Kopf. Hauptsache, man muß nicht zuviel dafür hinblättern. Das gleiche gilt für Eier.
Deshalb stopft der Geflügelzüchter seine Hühnerställe auch voller als voll. Genau wie Menschen können Hühner das nicht vertragen. Außerdem langweilen sie sich zu Tode. Sie werden aggressiv und hacken sich gegenseitig in die Federn. Manchmal bis sie bluten, manchmal bis sie tot sind. Damit das nicht vorkommt, wird ihnen meist der Schnabel beschnitten. Zwei ökologische Federviehhalter, Willemien und Anton Versantvoort aus St. Oedenrode, hielten nichts von dieser Tortur. Sie haben eine geniale Abhilfe gefunden.
In der Zeitschrift Lekker dier (leider eingegangen) berichtete Willemien: "Unser Hof steht voller Weihnachtsbäume, das ist unser Nebenerwerb. Dort ist der Freilauf für die Hühner, und uns fiel auf, daß die Tannen immer von unten kahlgefressen waren. Da kam ich auf die Idee, ihnen mal ein bißchen Tannengrün in den Stall zu legen. Seitdem haben sie sich nicht mehr gehackt. Im Hühnerstall herrscht jetzt Ruhe, es gibt nicht mal mehr eine Hackordnung! [...] Deshalb haben die Tiere auch gar keine Angst vor uns; sie picken genauso gern an unseren Beinen wie an den Tannenzweigen, die im Stall verstreut sind. Die werden ganz gründlich kahlgepickt, Nadel für Nadel. Es kostet nicht die Welt: Ein Tannenzweig reicht für etwa einen Quadratmeter. Den fressen sie in drei Tagen kahl. Um keinen Platz zu verlieren, kann man die Zweige auch an eine Wäscheleine hängen oder in eine Krippe legen. Das geht genauso. Außerdem sind Weihnachtsbäume billig und leicht zu beschaffen."
Das Leben in so einem Hühnerstall ist kurz, aber sie können trotzdem jeden Tag Weihnachten feiern.

Und hat denn niemand Mitleid mit den armen, umgehackten Weihnachtsbäumen? Ja doch, Jan Hanlo! Er hat einen Weihnachtsbaum aus grüngefärbten Hühnerfedern erfunden (vgl. sein Gedicht Praeter rerum ordinem). Aber jetzt wird es mir zu kompliziert.

Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas