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               Nikolai Vogel 
                 
              Mein Küchenradio ist ein empfindliches Gerät. 
                Ein Empfang aus Plastik. Ein Ramsch. Eine zarte Pflanze. Ein Ding 
                der kleinen Differenzen. Ich drehe den Sender rein. Ich höre. 
                Ich empfange. Ich bewege mich. Ein Rauschen folgt mir. Ich bin 
                zurück. Zurück am Radio. Ich empfange. Ich beuge meinen 
                Rumpf. Ein Rauschen umfängt mich. Ich richte mich auf. Ich 
                empfange. Ich und mein Radio. Zusammen empfangen wir. Ich bin 
                der Empfänger. Ich empfange mein Radioprogramm. Mein Radio 
                gibt es mir. Ich drehe an meinem Küchenradio. Ein kleiner 
                Plastikdrehknopf. Ich empfange drei Programme simultan. Ich stelle 
                die Frequenzen ein. Mein Radio lebt von den kleinen Differenzen. 
                Ich berühre den Drehknopf kaum. Es ist Hypnose. Wellenlängen 
                begnügen sich mit Bruchteilen. Ich empfange Musik, ich empfange 
                Gespräch. Ich empfange Musik und Sprache und Rauschen. Ich 
                empfange gleichzeitig. Ich nehme meine Bewegung durch den Raum 
                aus dem Lautsprecher wahr. Ich setze mich. Es rauscht. Ich stehe 
                auf. Es rauscht weniger. Ich gehe zum Radio. Es rauscht anders. 
                Ich lege meinen Finger auf den Drehknopf. Ich empfange. Ich erstarre 
                und empfange. Dreierlei Programme simultan. Vom einen zum anderen 
                sind es nur Gradbruchteile. Das neue Babel macht sich in meiner 
                Küche breit. Es lebt sich aus. In meiner Küche. In mir. 
                Gehe ich aus meiner Küche, gehe ich aus meiner Wohnung, gehe 
                ich aus dem Mietshaus, die Straße entlang zur U-Bahn, stecke 
                ich mir Knopfkopfhörer ins Ohr. Ins linke Ohr. Ins rechte 
                Ohr. Kein Rauschen. Empfang. Musik von der Minidisk. Sprache von 
                der Minidisk. Wie ein Beweis. Mein Küchenradio eine zarte 
                Pflanze. Es ärgert mich und lehrt mich Geduld. 
                Die Straßenbahn hält zwischen zwei Stationen. Die Straßenbahn 
                bleibt zwischen zwei Stationen stehen. Die Straßenbahn bleibt 
                wiederholt zwischen zwei Stationen stehen. Mehrere Straßenbahnen 
                bleiben wiederholt zwischen zwei Stationen stehen. Die Straßenbahnen 
                bleiben stehen und machen das Licht aus. Die Passagiere sitzen 
                ohne Licht in der Straßenbahn. Ich sitze ohne Licht in der 
                Straßenbahn. Das Licht ist aus. Der Motor ist aus. Die Straßenbahn 
                ist aus. Die Straßenbahn macht das Licht wieder an. Das 
                Licht geht an. Der Motor geht an. Die Straßenbahn geht an. 
                Die Passagiere sitzen im Licht in der Straßenbahn. Ich sitze 
                im Licht in der Straßenbahn. Die Straßenbahn kann 
                wieder fahren. Ich denke an mein Küchenradio. Ich denke an 
                die zarte Pflanze. Mein Küchenradio braucht Zuwendung. Ich 
                denke an die Straßenbahn. Ich denke an den Computer. Haben 
                Straßenbahnen ein Betriebssystem? Seit wann haben Straßenbahnen 
                ein Betriebssystem? Seit wann müssen Straßenbahnen 
                hin und wieder neu starten? Hin und wieder im neuen Babel. Die 
                zarte Pflanze braucht Zuwendung oder sie geht ein. 
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