Marianne Glasser
Im Halbdunkel liegen. Die Lichtinsel über
dem Tisch wahrnehmen, deinen dunklen Kopf, der sich über
die Kataloge beugt, die raschelnden bunten und meerblauen Seiten.
Wir schneiden eine Woche aus dem Winter heraus. Du sagst es eifrig
und hell. Eine Januarwoche in Polynesien. Das wär's.
Du wirfst mir die Namen einiger Inseln zu, ich
werfe sie zu dir zurück, dabei klicken sie aneinander wie
Murmeln in Kinderhänden. Aitutaki, Tuvalu, Vanuatu, Kiribati.
Und dann liegen wir vor diesem Meerblau, im hellen Korallensand,
und ich kann zusehen, wie sich die Landschaft um uns belebt. Der
Wind holt Atem und bläst die Wolken als Federn davon. Der
Himmel über unsern Gesichtern öffnet ein Fenster für
einen Stern. Und jetzt ist auch Gauguin wieder da, steht am Wasser
und malt uns neue Gesichter, und der Einsiedlerkrebs, unser Sandnachbar,
windet sich aus seinem Schneckengehäuse, schenkt es uns,
wandert weiter, und wir gleiten hinein in die engen Gänge,
finden uns, glauben dem Meer sein Rauschen, Ohr an Ohr. Polynesien.
Daliegen. Immer deutlicher fühlen, wie kühl
es am Körper ist. Der Lichtkreis über dem Tisch liegt
leer. Du bist ja nicht mehr da. Vielleicht sitzt du jetzt am Abendbrottisch,
bei deiner Freundin, in ihrer Wohnung. Die Frau im roten Pullover,
der Tisch mit den gelben Tassen, und du gelöst und zugewandt.
� Ich hab die Kataloge mitgebracht. An welchen Ort dachtest du?
� Schweiz vielleicht, sagt sie und beugt ihren Kopf neben deinem
über die Seiten. Skifahren würde ich gern mal wieder.
Und du? � Ich dachte an Polynesien. Das wär's. Halb
bewundernd, halb nachsichtig sieht sie dich an. � Ach du, sagt
sie. Südsee. Sonnenuntergänge am Sandstrand? Außerdem
haben wir nur eine Woche Urlaub.
Während du dort die gelben Tassen beiseite
schiebst und auf den bunten schneeglitzernden Seiten nach einem
Hotel in der Schweiz suchst, möglichst nah an den Skiliften,
aber nicht allzu weit von der Stadt, etwas Kultur, Konzerte vielleicht,
Sauna, Solarium, falls es immerzu schneit, natürlich Frühstücksbüffet,
stehe ich hier vom Sofa auf, gehe zur Tür, überblicke
noch einmal den Raum und versenke mit kurzem Druck auf den Schalter
die Wirklichkeit. Taste mich durch das Dunkel ins andere Zimmer
hinüber. Vor den Fenstern, unter dem Mond, schimmert der
Schnee bläulich-weiß. Korallensand ist es. Ich schlafe.
Ich gehe. Ich träume. Wolkenfeder. Sternenfenster. Sandschlaf.
Gauguin läuft draußen über das Eis. Du fährst
nicht nach Polynesien, mit deiner Freundin. Die Insel gehört
mir allein.
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