Am Erker 78

Roland Spiegel, Rainer Wittkamp: 111 Jazz-Alben

Ralf Dombrowski: Basis-Diskothek Jazz

 
Rezensionen

Roland Spiegel, Rainer Wittkamp: 111 Jazz-Alben, die man gehört haben muss
Ralf Dombrowski: Basis-Diskothek Jazz
 

111 Jazzalben
Rudolf Gier-Seibert

Links ein einführender, gut geschriebener Text, auf der gegenüberliegenden Seite eine farbige Abbildung des Covers mit diskografischen Angaben - nach diesem Muster stellen Roland Spiegel und Rainer Wittkamp ihre 111 besten Jazzalben vor.
Auf der ersten empfohlenen Platte hören wir King Oliver und seine Mitstreiter. Das drittletzte Album stammt ebenfalls von einem Kornettisten bzw. Trompeter, Into the Silence von Avishai Cohen. Zwischen dem New-Orleans-Stil der zwanziger Jahre und dem Modern Jazz der Gegenwart liegen knapp hundert Jahre, prall gefüllt mit unzähligen fantastischen Einspielungen.
Insofern sind die ausgewählten Beispiele nur Tropfen auf dem heißen Stein. Allein von einer Handvoll Musiker wie Coltrane, Davis, Evans, Monk und Mingus ließen sich genügend Meilensteine für eine umfangreiche Best-of-Sammlung finden. Aber die Autoren haben sich in den allermeisten Fällen auf maximal zwei Beispiele pro Musiker beschränkt, zugunsten eines breiteren Spektrums. Chronologisch angeordnet vermitteln die ausgewählten Titel einen spannenden Streifzug durch die Jazzgeschichte. Alle berücksichtigten Alben, so versichern die Autoren, sind derzeit als CD erhältlich, viele auch als LP. Einsteiger werden unterstützt, sich an die unterschiedlichen Spielarten des Jazz heranzutasten und eigene Vorlieben aufzuspüren. Auch wer sich bislang für einen alten Jazzhasen hielt, stößt aber auf Interpreten und Platten, die er bislang übersehen hat. So gehören Blues-ette von Curtis Fuller, At the Village Gate von Herbie Mann oder Forest Flower von Charles Lloyd zu meinen großartigen Neuentdeckungen.
Jazz aus den zwanziger bis vierziger Jahren wird durch Kompilationen repräsentiert. Die Langspielplatte und damit das Musikalbum im eigentlichen Sinne kommt erst ab 1948 auf den Markt. Ein deutliches Übergewicht in dem Band haben die Aufnahmen der fünfziger bis siebziger Jahre, in denen sich Stile wie Cool, Hard Bop, Free und Fusion entwickeln und wohl so etwas wie die Blütezeit des modernen Jazz markieren. Label wie Blue Note, Riverside, Prestige, Verve, Atlantik, Impulse und später ECM sind Experimenten nicht abgeneigt und werden berühmt. Es macht Spaß, in dem Band zu blättern, allein um die oft grandios gestalteten Plattencover zu betrachten.
Die Autoren orientieren sich weitgehend am Kanon der Jazz-Geschichte. Stilprägende Alben dürfen nicht fehlen. So gibt es hinsichtlich der Auswahl viele Überschneidungen mit den "100 besten Jazzalben" der Musikzeitschrift Rolling Stone oder mit Ralf Dombrowskis 125 LPs umfassender Basis-Diskothek Jazz.
Nicht in allen Fällen teile ich den Geschmack von Spiegel und Wittkamp. Warum haben sie von Charlie Parker ausgerechnet die süßlichen Aufnahmen mit Streichern ausgewählt? Von Pat Metheny (American Garage) und Keith Jarrett (The Köln Concert) kenne ich bessere Platten. Gewundert hat mich zudem, dass der Mundharmonika-Spieler Toots Thielemans - eher ein Sonderfall im Jazz - in der Sammlung Berücksichtigung gefunden hat, während Jan Garbarek, einer der einflussreichsten Saxofonisten der Nach-Coltrane-Ära, fehlt. Insofern bildet Ralf Dombrowskis Basisdiskothek, die 2018 in einer neuen Auflage (als sparsames Reclam-Sachbuch ohne Coverabbildungen) erschienen ist, eine gute Ergänzung. Hier findet man Garbarek und andere Alben, die in der Zusammenstellung von Spiegel und Wittkamp fehlen, und umgekehrt. Ein kenntnisreiches und zudem sehr schön gestaltetes Buch bleibt 111 Jazz-Alben natürlich trotzdem, nicht zuletzt, weil es dazu anregt, tolle Musik zu hören und an seiner persönlichen Best-of-Liste zu feilen.

 

Roland Spiegel, Rainer Wittkamp: 111 Jazz-Alben, die man gehört haben muss. 239 Seiten. Emons. Köln 2019. € 16,95.

Ralf Dombrowski: Basis-Diskothek Jazz. 5. Auflage. 270 Seiten. Reclam. Ditzingen 2018. € 7,80.