Tingeln mit Moogmonstern
Marcus Jensen
Tangerine Dream, die 1967 gegründete Elektronik-Rockband aus West-Berlin, kämpfte in den frühen Jahren mit grotesken Problemen: finanziellen, technischen und kulturellen. Bis das Ausland sie entdeckte, stießen die 'Krautrocker' meist auf Ablehnung, galten sogar als 'Karnevalsidioten', weil sie Hörgewohnheiten schredderten und verrückte Effekte aus allen möglichen Geräten herauskitzelten, teilweise aus Flippern und Küchenutensilien. Heute sind TD unbestrittene Wegbereiter und Großmeister der Synthie-Musik - schreiben allerdings konnte ihr Gründer, Edgar Froese (1944-2015), noch nie. Das zeigte sich in Texten auf Plattenhüllen und in Booklets, sogar eine Kurzgeschichte ließ er einmal abdrucken. Froeses lang angekündigte Autobiografie Force Majeure erschien nun zum fünfzigsten Band-Jubiläum. Das Buch lässt sich zunächst einmal schwer halten, weil es - schlecht gebunden - kaum auseinanderzuklappen ist und im Großformat mit Zweispaltendruck auf rund 400 Seiten herausgebracht wurde, die etwa 700 normalen Buchseiten entsprechen. Sollte es wegen des (guten) Foto-Mittelteils als Coffee Table Book funktionieren? Und der Verdacht bestätigt sich: Literarisch taugt das Buch leider nur zu einem Verriss.
Was Froese nicht sein wollte, ein alteingesessener West-Berliner, zeigt sich schriftlich in einer Laubenpieper-Mentalität, einem 'humorig' gemeinten, altfränkisch gestelzten Witzelstil mit papierenen Dialogen und banalen Leitartikel-Passagen. Oft schreibt er typische Rentnerprosa, die gerne mit dem Wetter anfängt und sich nicht darum kümmert, ob die Erinnerung erkennbar künstlich angereichert wurde. Der Autor starb vor dem Abschluss des Manuskripts, das erklärt viele Schwächen, aber nicht den Stil. Froese bringt gerne mehrere schiefe Metaphern in einem Halbsatz unter, etwa über den Starpianisten Friedrich Gulda, "dessen Finger wie eine Taube über die Tasten flogen sowie der Bachschen strikten Ton-Architektur die Biegsamkeit eines Palmenwedels einhauchten."
Angenommen, es handelt sich wirklich um den "authentischen" Ton Froeses (seine Witwe behauptet das), dann ist es ein Effekt wie in Miloš Formans Amadeus, der seine Zuschauer schockierte durch den gackernden und gockelnden Mozart. Hinzu kommt, dass bei Froese Selbstzweifel nur dann auftauchen, wenn von der Erziehung seines Sohnes Jerome die Rede ist. (Der setzt, nebenbei gesagt, eindrucksvoll das musikalische Genie seines Vaters fort.) Der schwer zu Erschütternde hat wichtige TD-Stationen ausgelassen, etwa fehlen so bedeutende Alben wie Rubycon und Exit. Man kann nur spekulieren, ob die Passagen nachgeholt werden sollten. Angesichts der vielen Überlappungen und Sprünge hätte das Ganze eine gnadenlos ordnende Hand gebraucht, aber wäre der dominante Band-Patriarch Edgar 'Viking' Froese bereit gewesen, einen Lektor ranzulassen?
Eines hilft sehr zum Verständnis der Redundanzen und wiederholten Erklärungen, etwa dass Berlin damals eine Mauer hatte: Dieses Buch wurde vor allem für nichtdeutsche Leser geschrieben. Seit 1973, seit dem Vertrag mit Richard Bransons damals blutjunger Plattenfirma Virgin, stellte das Ausland die Mehrzahl der Fans. Hoffentlich hat die englische Übersetzung, die zeitgleich mit der deutschen Fassung erschien, viele Holprigkeiten und Jovialitäten eingeebnet.
Genug gejammert.
Faszinierend und einzigartig ist die Sachlage. Froese beschreibt die hochsensible analoge Synthietechnik, das konstante Chaos der ersten Jahre, die gefährlich überfüllte Kathedrale von Reims, die grotesken Transportprobleme mit den teuren Monsterkästen während der Tourneen und die Reparaturarbeiten mit Lötkolben vor Ort, um die bestoßenen Mellotrone, Moog- und VCS3-Maschinen - manche groß wie heutige Militärrechner - wieder zum Leben zu erwecken, nur damit die temperaturempfindlichen Zicken im Konzert erneut ausfielen. Das sind Szenen, die außer Froese höchstens der andere Berliner Elektronik-Pionier beschreiben könnte, Klaus Schulze. Die Geldnöte der Familie werden angerissen: Zeitweilig ging seine erste Frau Monika Lebensmittel klauen. Die Polentournee 1983 bei minus zwanzig Grad liest sich bedrückend wie ein Bericht von der Ostfront. Die Bedingungen der Soundtrack-Erstellung für Hollywood-Filme sind hochinteressant. Die persönlichen Begegnungen fesseln zumindest inhaltlich, etwa mit dem selbstherrlichen Branson (dem die TD-Musik egal war, der aber den Riecher hatte fürs Angesagte), mit Klaus Schulze, Jimi Hendrix, Andrej Konchalovsky und David Bowie, der 1976 zwei Wochen bei Familie Froese lebte. Bemerkenswert ist auch vieles, was fehlt, etwa dass von Komposition kaum die Rede ist. Sicher, bis in die späten Siebziger wurden die Auftritte und sogar die Platten-Aufnahmen mehr oder weniger improvisiert, aber durch die technischen Veränderungen, den Wechsel zu präzise wiederholbaren 'Patterns' (wie ein Übergang von Alchimie zu Wissenschaft) hätte die individuelle Leistung der Melodien und Sequencer-Linien nach Eingebungen einzelner Bandmitglieder schreien müssen - nichts da. Es entsteht der Eindruck, als ob Melodien und Arrangements Beiwerk gewesen wären, sich irgendwie kollektiv ergeben hätten. Der erstaunliche geringe Stolz auf die doch eindeutig klassischen musikalischen Fähigkeiten wirkt im Buch wie ein zuinnerstes Nachlassen, so als hätte das Besondere der Gruppe immer 'nur' im Sound bestanden.
Mit dem Aufkommen verlässlicherer Instrumente und dem MIDI-Standard wurden die einzigartigen, außerirdischen Klänge Tangerine Dreams egalisiert, teilweise als international beliebte Bausteine erkennbar. Die Hörgewohnheiten hatten die elektronische Musik gefressen, der Begriff 'elektronisch' verschwand in die Normalität. Doch der weitaus größte Teil des Textes, der ab dem Fall der Berliner Mauer stark ausfasert, widmet sich den Abenteuern aus den analogen Jahren, zum Glück. |