Phönix von Mexiko
Rolf Birkholz
Am Besuchergitter plaudern oder in der Zelle die Gedanken schweifen lassen? Da mochte der Beichtvater noch Letzteres befürworten, solange die Nonne nicht etwa wissenschaftlich dachte. Das mag bei einem Vertreter des Intellektuellen-Ordens der Jesuiten zwar verwundern. Aber man befindet sich im 17. Jahrhundert, das Vorurteil herrscht, Wissenschaft und überhaupt Verstandesdinge und Dichtung seien nichts für Frauen. Doch Schwester (Sor) Juana Inés de la Cruz (1648/51-95) setzt sich kraft ihrer schon als Kind gezeigten Begabung durch. Mit ihren Versen wird die Mexikanerin zur bedeutendsten Poetin des spanischen Barock, schreibt auch über theologische und naturwissenschaftliche Themen, eine geschätzte Gesprächspartnerin von Gelehrten.
Unter dem Titel Nichts Freieres gibt es auf Erden hat Heidi König-Porstner nun eine Auswahl vor allem der Liebes- und Alltagslyrik wie auch solcher Texte der Mexikanerin übersetzt, "die ihren Ruf als Feministin begründet haben". Der rührt wohl daher, dass Juana Inés de la Cruz, die aus sogenannten einfachen Verhältnissen stammte, aber beizeiten am Hof des Vizekönigs gefördert wurde, sich auch als Frau und dann als Braut Christi zum einen das Denken nicht verbieten ließ und zum anderen auch Liebesgedichte an Frauen verfasste, wenngleich diese seinerzeit "nicht als Geständnisliteratur begriffen" wurden, wie es heißt.
"Weder, dass ich Frau, noch fern bin, / kann mich hindern, dich zu lieben. / Denn du weißt: die Seelen kennen / weder Fernsein noch Geschlecht", schreibt Juana an die gleichaltrige, seelenverwandte Vizekönigin Maria Luisa Manrique de Lara. Nach Spanien zurückgekehrt, sorgt diese Freundin denn auch dafür, dass ein erstes Buch mit der Dichtung der Klosterfrau veröffentlicht wird. Auf dem Titelblatt erscheint die Autorin als "Phönix von Mexiko".
Sie schreibt sogar, sie bete Maria Luisa an, nennt sie "Meine göttliche Lysi", wohl wissend, damit, zumal vorm religiösen Hintergrund, zu überziehen. Dann: "Wenn ich dich also mein nenne, / so nicht, weil ich will, dass / man meint du gehörtest mir / sondern nur, weil ich dir gehören will." Das klingt schon ein bisschen nach ekstatischer Überhöhung. Die Angehörige des Ordens der nach dem heiligen Hieronymus benannten Hieronymitinnen scheint es selbst zu spüren: "Keine Gottheit ist sicher / vor dem Höhenflug der Gedanken." Das ist theologisch nicht unbrisant. Es gilt aber auch: "Nichts Freieres gibt es auf Erden / als unsern menschlichen Geist. / Soll ich ihn zügeln, wenn selbst Gott / ihn nicht in die Schranken weist?"
Ausführlich biografisch eingeleitet, stellt Heidi König-Porstner eine bemerkenswerte Frau vor, die schon in vorfeministischen Zeiten ihren Weg ging. "Ich trage beide Augen in den Händen / und sehe nur, was ich berühren kann", klingt einmal der Apostel Thomas an, der nur glauben will, was zu sehen und zu berühren ist. Berühren und berührt werden kann man aber auch gedanklich und mit Worten. Das tut die Poetin in ihren Gedichten, oft in Sonetten, bei denen sich die Übersetzerin erfreulicherweise nicht auf Biegen und Brechen an die Reime der Vorlagen hält.
Wohl auch nach Spannungen mit der Hierarchie verstummt Schwester Juana Inés de la Cruz vier Jahre, bevor sie einer Seuche erliegt. Da hatte sie sich noch einmal neu dem Glauben zugewandt, die Gelübde bekräftigt. Sie bereute, "ohne Religion in einer religiösen Gemeinschaft gelebt zu haben." Diese Umkehr entwertet natürlich ihre Dichtung nicht, die eine Auseinandersetzung auch heute noch verdient. Sie wertet sie eher auf. |