Aus der Erde fallen?
Rolf Birkholz
Nein, nein, "ich bin nicht verzweifelt, / nein und wozu auch? die wilden rosen / kauf ich mir auch im winter im shopping / und im sommer so oder so", heißt es frei nach Hölderlins "Hälfte des Lebens" bei Roland Merk, "gewiss, nüchtern betrachtet, / die zukunft ist etwas verbaut". Das ist die Stimmungslage in des Schweizers neuem Gedichtbuch Der Lauf der Nacht am helllichten Tag.
Dem lyrischen Ich geht es recht komfortabel. Doch es traut dem Wohlbefinden nicht, das womöglich auch zu Lasten anderer, des Planeten insgesamt und damit auch der Zukunft geht. Ein Unbehagen an der allzu fraglos akzeptierten Wohlstandswachstumsgesellschaft, revolutionäre Zuckungen durchziehen die Lyrik Roland Merks, der freilich auch um die Tonlage "des kultivierten unbehagens" weiß.
Das Wirkliche ist dem Autor "eine metapher / aber wofür?" ("die metapher / ist das wirkliche / aber für wen?"). Er forscht "in der geographie meiner gefühle", fragt sich: "und kann, darf, soll ich wirklich / nicht aus der erde fallen?" Und dann vielleicht "schweben statt leben, / den fuß ins bodenlose wagen, / den ersten schritt tun, / alle verhältnisse umzuwerfen, / den grauen zaun um den menschenpark - ach urangst, ach menschheit, ach maske".
Ein bisschen pathetisch wird's da schon, aber so klagen zu wagen, mag man Merk nicht ankreiden. Denn er weiß ja auch, in fein ausgewogener Strophe: "gelassen / betrachten wir den lauf der dinge / wie von der zeit überholte photographen / das fixierbad, es wird schon / werden".
In seinem in den Band aufgenommenen Essay "Anarkadien der Poesie oder vom Engel der Zukunft" versucht der 1966 geborene, in Paris und Basel lebende Roland Merk eine Aufgabenbeschreibung heutiger Dichtung. Ihr Arkadien bleibe das Anarkadien einer "Welt, in der das Wort 'Markt' nur noch antiquierter Euphemismus für die globale Kampfzone ist." Auf Hölderlins Frage "Wozu Dichter in dürftiger Zeit?" nenne er, so Merk, den Dichter nicht mehr mit Kierkegaard "'das Genie der Erinnerung', sondern das Genie des möglichen Schreckens." Lyrik sei "Versprechen des Glücks, doch heute nur noch durch die Negativität hindurch." Und: "Sie ist die Sprache, die das Grau in Grau dieser Gegenwart nicht in Farbe übersetzen will." Grau aber sind diese Gedichte deshalb nicht. |