Rot, Gold, Schwarz
Rolf Birkholz
Die Gesellschaft wird älter, und es gibt keine repräsentative Gedichtsammlung über das Alter? Da machten sich Helmut Zwanger und Henriette Herwig, der als Lyriker und Anthologist ("Gottesgedichte") erfahrene württembergische evangelische Pfarrer und die Düsseldorfer Literaturwissenschaftlerin, selbst ans Werk.
Ihr Band Altershalber versammelt deutschsprachige Gedichte aus acht Jahrhunderten von Walther von der Vogelweide bis Jan Wagner. Da flattert Georg Brittings "Abendvogel" herein, "schwarz wie Kummer", da sind mit Ingeborg Bachmann weiterhin "härtere Tage" zu erwarten.
Aber zwischen dem verflossenen Rot der Leidenschaften und dem finalen Schwarz leuchtet weniger ver- als erklärend ein Lebensabendgold, die Chance, das menschliche Dasein, mit Peter Rühmkorf, wenigstens rückwärts ein wenig zu verstehen, vielleicht als "ein Blatt vom Lebensbaum / halb falb, halb golddurchsiebt."
Unter den versammelten "Abendphantasien" (Hölderlin) findet sich wohl Unvergängliches wie August von Platens ernüchtert auf die Lebensglücksuche blickendes Sonett "Wer wusste je das Leben recht zu fassen", Rainer Maria Rilkes "Herbsttag" oder Stefan Georges Lockruf "komm in den totgesagten park und schau".
Der jüngere Günter Grass ("Zwischen Greise gestellt") schaut aber auch einmal argwöhnisch auf übermächtige Alte: "Wie sie mit neunzig noch lügen / und ihren Tod vertagen, / bis er Legende wird." Eva Zeller wiederum lässt gar dem Sensenmann ausrichten: "Sagt meinem Tod / daß er offene Türen / einrennen wird".
In seinem "Altershaiku" fasst Reiner Kunze präzise eine Sorge so vieler: "Verzweifelt suchst du / nach dem namen der dinge / Die welt entfernt sich". Gelassen fügt sich Rose Ausländer ins Umfassende: "Ich bin der Sand / im Stundenglas / und rinne / ins Tal der Zeit / die mich umarmt".
Die Herausgeber legen - biblische Bezugstexte vorneweg - Betrachtungen über das Alter(n) aus vielen Perspektiven vor. Brauchbar, aber nur knapp dosiert zu lesen: Melancholie-Gefahr. |