Am Erker 67

Vladimir Odoevskij: 'Der schwarze Handschuh'

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Vladimir Odoevskij
Manesse Verlag

 
Rezensionen
Vladimir Odoevskij: Der schwarze Handschuh
 

Der Vergessene
Steffen Roye

Der schwarze Handschuh vereint eine Sammlung von sieben Kurzerzählungen Wladimir Odojewskis (1803-1869), zusammengestellt und erst- oder neu übersetzt vom kürzlich leider verstorbenen Peter Urban. Darin geht es meist um Menschen, die nicht in die Gesellschaft passen und an ihrem Außenseiter-Status, an gesellschaftlichen Konventionen oder gar an der Lust am Klatsch zerbrechen. Es sind Illustrationen des hohlen Lebens der russischen Oberschicht, eines Lebens in einer Blase, die gleichwohl deren essentiellen Mittelpunkt darstellt. Und der Leser? Schaut fassungslos zu, wie die Figuren sich verrennen. "Kein noch so gelehrtes Werk", heißt es im Nachwort, "hat uns ein so eindrucksvoll-lebendiges Bild von der Atmosphäre jener 'besseren Gesellschaft' der Zeit Puschkins vermittelt [...] Dieses Hohelied der Heuchelei und Verlogenheit macht geradezu sinnlich fassbar, woran Puschkin - und nicht nur er - allmählich erstickt ist." Wie Puschkin entstammte Odojewski einem alten Adelsgeschlecht und konnte aus dem Nähkästchen plaudern. Elegant, geradezu leicht und spielerisch transportiert seine Sprache eine feinsinnige Ironie, klagt an, ist zynisch und gesellschaftskritisch. Und doch wirkt das Gewicht der Sprache erst richtig, wenn man die Geschichten nach dem Lesen sacken lässt. Deutlich erkennbar ist die Vorliebe des Autors für Alchemie, das Mystische oder auch für E. T. A. Hoffmann. Odojewski zeigt ein Talent für genaue Beobachtungen, egal ob in der gehobenen Gesellschaft oder - wie im an Gogol erinnernden "Märchen vom toten Körper" - unter einfachen Menschen. Gleichwohl gräbt Odojewski nicht tiefenpsychologisch wie Tolstoi oder Dostojewski, geschuldet der knappen Form seiner Erzählungen. Kritisch, pointiert, aber nie vordergründig witzig, bieten seine Geschichten uns Lesern bei aller Genauigkeit genügend Interpretationsspielraum. Odojewski klagt die "Strippenzieher" an, jene, die seine Protagonisten beharrlich ins Unglück stürzen, macht aber gleichwohl deutlich, dass auch diese Antagonisten Opfer ihrer miefigen Erziehung sind. Und obwohl die Geschichten im 19. Jahrhundert spielen, sind sie doch in gewisser Weise zeitlos, auch wenn sich einige Vorzeichen geändert haben mögen (so hat die Presse heute die Rolle des Gesellschaftsklatsches übernommen, der Existenzen ruinieren kann).
Als Liebhaber physischer Bücher ist mir deren Ausstattung wichtig. Ordentliches Papier, ordentliche Heftung - die Aufmachung der Manesse-Bücher ist immer ein Genuss; außerdem ist der Band versehen mit Anmerkungen (Erklärung von Fremdwörtern und heute nicht mehr geläufigen Wörtern sowie Anspielungen auf andere Werke) und einem Nachwort des Übersetzers.
Wladimir Odojewski (bzw. Vladimir Odoevskij) beeinflusste einst solche Größen wie Turgenjew, Tolstoi, Tschechow und Dostojewski. Umso trauriger, dass der Autor - zumindest in Deutschland - in Vergessenheit geraten ist. Dabei hat er es verdient, wieder auf eine Stufe mit den Großen der russischen Literatur gestellt zu werden. Das nun vorliegende literarische Kleinod kann dazu einen Beitrag leisten. Für die Fans der russischen Klassiker ist es empfehlenswert und möglicherweise eine Neu- oder Wiederentdeckung.

 

Vladimir Odoevskij: Der schwarze Handschuh. Erzählungen. Aus dem Russischen von Peter Urban. 382 Seiten. Manesse. Zürich 2013. € 19,95.