Atze Mückert wieder im Bild
Andreas Heckmann
Schlagworte, die sich im Zusammenhang mit dem Kohlenpott gern reflexhaft einstellen – Zechensterben, Strukturwandel, Industriekultur –, haken Jörg Sundermeier und Markus Weckesser, die Herausgeber des Ruhrgebietsbuchs, bereits im Vorwort ab, und keiner der Autoren der munteren Anthologie, die schon 2010 vorliegen sollte, als Essen und das Revier Kulturhauptstadt Europas waren, schert sich um einen soziologisch schwiemelnden oder gar sozialkritisch-olympischen Blick auf die Region zwischen Datteln-Hamm-Kanal und Baldeney-See, Duisburg und Uentrop.
Stattdessen Mikrogeschichten unterhaltsamer Natur, serviert von Kennern der Region oder von Außenstehenden mit sympathisch bösem Blick. Barbara Kalender und MÄRZ-Verleger Jörg Schröder, die Unverwüstlichen, berichten vom Versuch, nach ihrer Pleite im Vogelsbergkreis 1988 in den Pott zu ziehen, wo ihnen in Bochum eine Villa im von der Karstadt-Security bestrichenen Gewerbegebiet für schlappe 4.800 Mark Monatsmiete angedient wird; Alexander Kluge führt ein Gespräch mit Helge Schneider, der sich als Atze Mückert dafür ausspricht, den Klappstuhlberater endlich zum Ausbildungsberuf zu machen; Wolfgang A. Müller berichtet von einem Disko-Ausflug, der nach fünfzehn Kilometern mit Getriebeschaden endet – nur der Rückwärtsgang tut's noch, und so orgelt man im korallenroten Rekord mit elfenbeinfarbenem Dach und bald schon steifem Hals durch den Abend: "Zwei Rückleuchten gleiten langsam in der Dämmerung voran. Der Asphalt verschwindet hinter den Frontscheinwerfern in einem dunklen Trichter. Der Wagen tastet sich durch die Landschaft, stromaufwärts. Gespannt lugen die Insassen durch die geschwungene Rückscheibe. Sie bohren sich durch das Dunkel, ohne Ankündigung, ohne Widerstand. Nach einigen Kilometern leuchtet ein entgegenkommendes Fahrzeug die Landstraße aus. Für eine Zehntelsekunde erstarrt die Bewegung in einem hellen Wischen, als die beiden Wagen sich begegnen, und nicht nur Gerry fühlt sich wie James Stewart im Glockenturm."
Vieles mag man in diesem Buch vermissen, vom Fußball der vierziger bis sechziger Jahre über die Polen im Revier bis zum Kampf der DKP in ihrer Hochburg Bottrop in den Siebzigern, doch dieser Mut zur Lücke bestätigt nur, dass bei zehn Millionen Bewohnern auch Wünsche offen bleiben müssen. Dafür kommen immerhin Wolfgang Welt und der großartige Egon Neuhaus (mit einem Auszug aus Spinnewipp) zu Wort, Marion Gay mit einem bitteren Text, der schon im 52. Erker stand (überhaupt sind die Städte- und Regionenbücher aus dem Verbrecherverlag oft liebevolles Flickwerk unter dem Zentralgestirn der literarischen Zweitverwertung), Marc Degens, Enno Stahl und viele andere.
Joachim Feldmann, der sich seinen Recklinghausen-Beitrag in Belegexemplaren honorieren ließ und bei Freunden und Bekannten in Pott und Münsterland angesichts seines Gastgeschenks nun für großes Hallo und leuchtende Augen sorgt, vermutet übrigens, dass sich die Anthologie in Herne, Werne und der Hansestadt Haltern am See wie geschnitten Brot verkaufen würde, wenn ein paar Beiträger vor Ort Lust und Zeit erübrigten, damit durch die heimischen Buchhandlungen und Literaturzentren zu tingeln. Auf, auf! |