Dichter-Soap
Michael Esders
Beim ersten Durchblättern bleibt man unweigerlich bei der
Bilderstrecke des Bandes hängen. Die Fotos zeigen junge Menschen
mit hellem Teint. Sie frühstücken, spazieren durch Wälder,
diskutieren, trinken aus Pappbechern, filmen sich gegenseitig
mit Camcordern. Die Männer tragen Kapuzenpullis oder Strickjacken
mit Rautenmustern, die Frauen tragen Schals und wirken nachdenklich.
Es dominieren milchiges Gegenlicht und zarte Pastelltöne.
Die Aufnahmen wirken wie Fotos aus dem CD-Booklet einer Newcomerband.
Nur die Instrumente fehlen, und die Posen sind ein wenig zu brav
und introvertiert.
Es handelt sich um Dichter aus dem Umkreis des Hildesheimer Studiengangs
für Kreatives Schreiben. Die Literaturzeitschrift BELLA triste
hatte im vergangenen Jahr eine Villa im Hildesheimer Stadtteil
Himmelsthür angemietet und zehn junge Autorinnen und Autoren
eingeladen, dort ein paar Tage miteinander zu verbringen und über
die Voraussetzungen ihres Schreibens zu diskutieren. Ergebnis
ist das Werkstattbuch Treffen - Poetiken der Gegenwart, das im
ersten Teil poetologische Essays der zehn Autoren versammelt und
im zweiten Teil das Gespräch in Himmelsthür nachzeichnet.
Unter den Teilnehmern sind recht bekannte Autoren wie Thomas Pletzinger
oder Thomas von Steinaecker, aber auch Seminaristen, die noch
nicht in Verlagskatalogen aufgetaucht sind.
Die Autoren - alle um die Dreißig - wehren sich vehement
gegen eine Generationszuschreibung und noch vehementer gegen das
"Gefrierbeutel"-Etikett "Schreibschulschüler".
Dabei suggeriert bereits die Fotostrecke jene Zugehörigkeit,
die die Beiträge selbst immer wieder dementieren: Schon Look
und Style der Teilnehmer sind so stimmig, dass die Gruppe wie
gecastet wirkt: mehr Daily-Dichter-Soap als Gruppe 47.
Auch die Debatten sind wenig kontrovers, und im Begrifflichen
herrscht größtenteils Einigkeit. Nur Jörg Albrechts
etwas spinnerte Versuche einer multimedialen Entgrenzung der Literatur
("Mikrozellen") fallen aus dem Rahmen. Im Mittelpunkt
stehen Begriffe wie Figur, Narration, Struktur oder Perspektive.
Es geht um das Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz, Experiment
und Entertainment, um den Alltag der Fiktion und die Fiktionalität
des Alltäglichen. Die Beiträge bewegen sich durchweg
auf hohem Reflexionsniveau, lesen sich aber stellenweise wie die
Fortsetzung eines germanistischen Oberseminars mit anderen Mitteln,
etwas wenn Steffen Popp etwas ungelenk "den spezifischen
Status der Strategie Narration" näher zu ergründen
versucht.
Der nahtlose Übergang von der Uni zum Schreibseminar ist
nicht nur den Biografien der Autoren, sondern auch ihren Essays
anzumerken. Die Studentenbude wurde kurzerhand zur Poetenstube
ummöbliert. Der Dichter spaziert nach dem Zwischenspeichern
in der Bude herum, macht - wie Steffen Popp - einen Handstand,
bereitet sich in der Küche mundgerechte Birnenstückchen
zu und setzt so gestärkt die Arbeit am poetischen Tagwerk
fort. Die Welt indes bleibt draußen. Einziger authentischer
Erfahrungsraum außerhalb dieser Klause ist die eigene Kindheit.
Die Fenster dieser Schreibstube öffnen die Beiträge,
die nach den Marktbedingungen und der Relevanz des eigenen Schreibens
fragen und so die etwas formalistische Diskussion erden. Dabei
geht Thomas von Steinaecker auch auf den von der Literaturkritik
erhobenen Vorwurf ein, der von Schreibschul-Absolventen dominierten
Gegenwartsliteratur sei die Gegenwart abhanden gekommen. "Es
fehlt nicht nur der Wille, sich in andere Welten zu begeben, sondern
überhaupt auch das Gefühl der Notwendigkeit dazu",
stellt er am Schluss des Bandes selbstkritisch fest. Wie wahr!
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