Von Schlitzern und Spritzern
Ralf Schneider
Dietmar Dath klotzt, wo andere kleckern. Seit
Jahren publiziert der umtriebige FAZ-Redakteur, Journalist und
Autor wissenschaftlicher Sachbücher einen Roman nach dem
anderen. Im Frühjahr 2005 erschien sein bisheriges Opus Magnum,
der nur mit einiger typographischer Mühe auf einen Umfang
von unter 1000 Seiten gebändigte Roman Für immer
in Honig. Nur einige Monate später folgte sein Suhrkamp-
Debüt Die salzweißen Augen, ein "Romanessay"
in Briefen, den man als eine zweihundertseitige Fußnote
zu seinem Romanwerk und als Poetik dieser hellsichtigen Trash-Romane
verstehen kann. Der Kontrast könnte kaum größer
sein: In Die salzweißen Augen findet der Held Daniel
nach Jahren stummen Liebesleids endlich einfache und ernüchternde
Worte für seine nie artikulierten Gefühle, die er noch
in der Erzählgegenwart hinter einer großsprecherischen
Apologie des Heavy Metal, des Splatter-, Horror- und Pornogenres
zu verstecken versucht. Und Für immer in Honig ist
nicht weniger als ein weltumspannendes Epos vom beinahen Untergang
der Menschheit in einem gigantischen, Jahrzehnte dauernden und
ausgesprochen ruinösen Kampf gegen Zombiearmeen, Werwolfguerillas
und turbokapitalistische Kriegsgewinnler, der nach einem gigantischen
Bombeninferno schließlich mit der Weltrevolution endet.
Daths Epos ist unter anderem auch eine Art (links-)radikale Jugendzentrumsphantasie,
die der Gelassenheit und Differenziertheit der "Erwachsenen"
jugendlichen Aktionismus, Pathos und Kompromisslosigkeit entgegensetzt
- Tat statt Reflexion. In Für immer in Honig werden
keine Gefangenen gemacht, das Erzählte ist immer von größtmöglicher
Radikalität. Das Zeitgeschehen der letzten Jahre dient dabei
als Material für die unbändige Dathsche Einbildungskraft
und wird mit ausgeprägtem Sinn fürs Katastrophische
fortgesponnen in die Zukunft.
Was dabei an drastischen Phänomenen in Die salzweißen
Augen als notwendig und wichtig rehabilitiert werden soll,
wird in Für immer in Honig bis zum Exzess dargestellt.
Ein derart mit Krieg, Kitsch und Kalauern gesättigtes Text-Monstrum
hat eine kleine Leseanleitung durchaus nötig, um einer über
den engeren Fankreis hinausgehenden Leserschaft die Scheu zu nehmen.
Es wäre spannend, zu einer solchen Literatur der Verausgabung
in Effekten und Oberflächen, in Provokation und Exzess eine
kohärente Theorie geliefert zu bekommen, die den gestalterischen
Mitteln eine konstruktive Funktion zuschreiben kann. Ein solches
Versprechen geben die Briefe über Drastik und Deutlichkeit,
so der Untertitel der Salzweißen Augen - so ganz
eingelöst wird es allerdings nicht, das wäre vermutlich
auch zu viel verlangt.
Einerseits bemüht sich nämlich der Briefschreiber Daniel
(D.) (den Dath nicht mit sich verwechselt wissen will) um eine
theoretische Rehabilitierung des Abseitigen, Skandalösen,
aus dem Diskurs Ausgeschlossenen, dem er eine wesentliche ästhetische
wie politische Funktion zuweisen möchte: Drastik sei "der
ästhetische Rest der Aufklärung nach ihrer politischen
Niederlage". Dem populären Verständnis der Drastik
als dionysisch-unkontrolliert, als fiese rauschhafte Entgleisung
stellt D. "ihre apollinischen, rational-funktionalistischen,
sich von (im weitesten Sinne) Aufklärung herschreibenden
Aspekte" entgegen. Das ist allerdings genau die Art von diffus
universalistischem "postmodernem Theoriekäse",
gegen den D. andererseits so wütend anschreibt. Dabei verwechselt
er offensichtlich political correctness mit Vernunftkritik und
greift so die Herren Derrida und Foucault oder gleich die ganze
Postmoderne an, statt sich auf deren halbgebildete Nachbeter im
Kulturbetrieb zu stürzen. Ganz pauschal verübelt er
den Intellektuellen ihre Abkehr vom Projekt der Aufklärung
im engeren Sinne und versteht die übersteigerte Subtilität
zeitgenössischer Theorieproduktion als Bankrotterklärung
gegenüber der stetig an Einfluss gewinnenden Macht des Marktes.
Problematisch ist dabei vor allem, dass in seiner Argumentation
zwei unvereinbare Themenblöcke zusammengezwungen werden:
die gesellschaftspolitische Kritik der Postmoderne und der Versuch
einer Rehabilitation drastischer Kulturprodukte. In der gewollten
Verbindung neutralisieren sich die Argumente dann häufig,
was einzeln brillant sein mag, erscheint in Kombination oft hanebüchen.
Bei aller Inkongruenz der Theorie als ganzer ist die Lektüre
dennoch sehr inspirierend, nicht nur wegen einiger wirklich kluger
Gedanken. Dath ist gegenwärtig auf jeden Fall einer der wenigen
welterschließenden und auf die Zukunft spekulierenden Romanautoren
im deutschen Sprachraum, trotz oder gerade wegen seiner unzähligen
Anleihen im Science Fictionund Fantasy-Genre. Und man kann sogar
noch etwas lernen: Die salzweißen Augen ist auch
eine kleine Einführung in die Geschichte des Splattermovies.
Zugegebenermaßen dürften die "Schlitzer, Spritzer
und Spermaluder", die solche Filme wie auch seine Romane
bevölkern, nicht jedermanns Sache sein, eine popkulturelle
Sozialisation hilft da enorm. Wer jedenfalls glaubt, dass exzessiver
Konsum von Splatterfilmen und Videospielen die Gewaltbereitschaft
erhöht, hat hier definitiv nichts verloren.
Ein Leserbedürfnis bleibt bei all dem Einfallsreichtum und
erfrischenden jugendlichen Ungestüm übrigens unbefriedigt.
Was in den Romanen fehlt, die Dath am laufenden Band raushaut,
ist das Du, das den Monolog dieses manischen Ich unterbricht,
einen Dialog eröffnet, Gegenrede ermöglicht. Mit Ausnahme
der Salzweißen Augen wiederum: Nach Jahren der Sehnsucht
nach der verehrten Sonja und nicht enden wollendem Grübeln
über die Unmöglichkeit und Kompliziertheit dieser Liebe
erfährt D., dass er nur blind (oder zu cool) war für
ihr Interesse an ihm. Die Weltverschwörung der Zombies in
Ehren, aber an Drastik ist diese sehr leise Beschreibung eines
subjektiven Irrwegs kaum zu übertreffen.
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