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               Ein Nazi-Karrierist 
                Jürgen P. Wallmann 
              Einer der widerwärtigsten Briefe der Literaturgeschichte 
                wurde am 10. Oktober 1935 dem gefürchteten Chef der SS vom 
                Präsidenten der Sektion für Dichtkunst in der Preußischen 
                Akademie der Künste zugeschickt. Darin wurde dem "lieben 
                Heinrich Himmler" ein "kulturpolitischer Vorschlag" 
                unterbreitet: Da man ja leider Klaus Mann, den in Amsterdam lebenden 
                Herausgeber des "unflätigsten" Emigrantenblattes 
                "Die Sammlung" nicht zu fassen bekäme, "würde 
                ich in dieser wichtigen Angelegenheit doch das Geiselverfahren 
                vorschlagen. Könnte man nicht vielleicht Herrn Thomas Mann, 
                München, für seinen Sohn ein wenig inhaftieren? Seine 
                geistige Produktion würde ja durch eine Herbstfrische in 
                Dachau nicht leiden... Wir gehen (...) nur gegen das verleumderische 
                Fleisch vor und also nicht gegen den europäischen Geist des 
                Herrn Mann." Kurz darauf bedankte sich Himmler für die 
                "ausgezeichnete Anregung, der ich selbstverständlich 
                nachkomme". Zum Glück aber befand sich, was weder der 
                Denunziant noch Himmler wussten, der Nobelpreisträger Thomas 
                Mann damals schon im Ausland, weswegen er dem Konzentrationslager 
                entkam. Das Verhalten des Briefschreibers Hanns Johst (dies sein 
                Name) entsetzt umso mehr, als Thomas Mann noch 1920 den "nationalkonservativen 
                Polemiker" beglückwünscht hatte ("Ich liebe 
                Sie sehr, Herr Hanns Johst, und freue mich Ihres Daseins."). 
                In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg war Johst ja kein Niemand; 
                seine Theaterstücke wurden überall gespielt, seine Texte 
                wurden vom Expressionismus-Verleger Kurt Wolff und in Pfemferts 
                Zeitschrift "Die Aktion" gedruckt, Klabund lobte ihn 
                und Brecht fand es "herrlich", sich mit ihm zu treffen. 
                Doch nicht erst 1933 lief Johst, wie so mancher schreibende Opportunist 
                zu den neuen Machthabern über. Schon in den Zwanzigerjahren 
                wandte er sich gegen Republik und Demokratie, fand seine Ideen 
                bei der NSDAP wieder und wurde zum glühenden Bewunderer und 
                Propagandisten Hitlers. Zwar schrieb er nach der Machtergreifung 
                außer dem Drama Schlageter, das 1933 am Geburtstag 
                des "Führers" in Anwesenheit Hitlers uraufgeführt 
                wurde, nur noch Propagandatexte und keine im engeren Sinne literarischen 
                Werke. Aber in seinen gern übernommenen offiziellen Funktionen, 
                vor allem als Präsident der mächtigen Reichsschrifttumskammer, 
                war er dem Regime bis zum Ende ein bedingungs- und skrupelloser 
                Handlanger. Das ging so weit, dass er den Völkermord billigte, 
                mit Freund Himmler an einer eigens für sie arrangierten Exekution 
                teilnahm und persönlich einzelne Juden denunzierte, um ihre 
                Ermordung zu veranlassen. Für so viel Loyalität wurde 
                Johst mit hochdotierten Preisen überhäuft, bekam einflussreiche 
                Posten und war u. a. Preußischer Staatsrat und SS-General. 
                Freund Himmler schickte mal ein Päckchen Himbeertee, mal 
                ließ sich Johst aus dem KZ Dachau eine inhaftierte Bibelforscherin 
                für seinen Haushalt zuweisen ("Die ihm jetzt zur Verfügung 
                stehende Polin entspricht nicht den Anforderungen."). 
                Und nach 1945? Da war plötzlich aus dem heroischen Kämpfer 
                ein Jammerer geworden, der sich als verkannter Widerstandskämpfer 
                gerierte und mithilfe lügenhafter Zeugen und inkompetenter 
                Gutachter nach jahrelangem Entnazifizierungsverfahren ungeschoren 
                davonkam. Literarisch konnte er nicht mehr Fuß fassen, verbittert 
                saß er in seinem Haus am Starnberger See und schrieb gelegentlich 
                unter dem Pseudonym Odemar Oderich humorvoll gemeinte Verse für 
                die EDEKA-Kundenzeitschrift "Die kluge Hausfrau" - immerhin 
                eine kleine Strafe für einen Mann, der einst als "Barde 
                der SS" und größter Dichter Deutschlands gerühmt 
                worden war. 1978 ist Hanns Johst, 88 Jahre alt, in Ruhpolding 
                gestorben, uneinsichtig bis zum Schluss. 
                Es ist erstaunlich, dass die Wissenschaft dieser zentralen Figur 
                der NS-Literatur und -Kulturpolitik bislang wenig Aufmerksamkeit 
                gewidmet hat. Diesem Mangel hat nun der Osnabrücker Literaturwissenschaftler 
                Rolf Düsterberg mit einer materialreichen Monographie abgeholfen, 
                die in jahrelanger Arbeit in Archiven und anhand unveröffentlichter 
                Materialien verfasst wurde. Dieses Buch ist zum einen eine genaue 
                Spezialuntersuchung, zum andern aber auch eine Dokumentation über 
                das Funktionieren der NS-Kulturpolitik mit ihren rivalisierenden 
                Cliquen mit Intriganten, Erpressern und Denunzianten. Dass Deutschland 
                zwischen 1933 und 1945 in den Händen einer Gangsterbande 
                war, wird sich nach der Lektüre dieses Buches kaum bestreiten 
                lassen. Dabei ist es ganz unpolemisch geschrieben - die Dokumente 
                sprechen für sich. Das lesenswerte und lesbar geschriebene 
                Werk umfasst 460 eng bedruckte Seiten, und das ist nicht zu beanstanden, 
                da viele Texte ausführlich dokumentiert und referiert werden 
                mussten. 
                Leider aber wird eine große Öffentlichkeit von einem 
                solchen Umfang vermutlich abgestoßen werden - das Buch verdient 
                jedoch viele Leser. Dem Verlag ist dringend zu empfehlen, zusätzlich 
                eine stark gekürzte, preiswerte Taschenbuchausgabe herauszubringen. 
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