Chalupy, welcome to
Marion Gay
Die blasenschwache Sonja verbringt mit ihrer
Schwester Majka ihre Kindheitssommer auf der polnischen Halbinsel
Hel, wo Tata, ihr Vater, in Chalupy ein heruntergekommenes Café
betreibt. Der "Lindenblüten"-Geruch von Tante Apolonias
Leiche weht vom Dachboden herab und Nacht für Nacht schleicht
sich Sonja "im ätzenden Licht der Sterne" zum Pinkeln
nach draußen.
In ihrem ersten Roman lässt die 1972 geborene Malin Schwerdtfeger,
die 2000 in Klagenfurt einen Förderpreis erhielt, keine Körperflüssigkeit
aus. Ohne jede Diskretion kann man die Mädchen beim Erwachsenwerden
beobachten. Manchmal beißt es etwas heftig in der Nase,
und trotzdem erscheint dieses Café Saratoga wie ein Ort
aus einem Märchen - wie Sonja schon sagt: "Wir spielten
uns selbst in einem tschechischen Märchenfilm". Ob Majka,
deren dunkle Augenbrauen zusammenwachsen, oder der Mutter, die
lethargisch ihrem allmorgendlichen "Grausen" entgegenblickt
und sich ihre Tolstoi-Welt zusammenspinnt, oder Bocian, der die
Mädchen mal Fischlein, mal Fröschlein, mal Fötzlein
nennt - keiner dieser Personen möchte man jemals über
den Weg laufen. Am schlimmsten aber ist Tata, "den man auch
als Leser einfach lieben muss", wie der Klappentext behauptet,
und der Sonja auch mal eine Bierflasche im Gesicht zerdeppert.
Und dafür trotzdem geliebt wird. Klar. Als er sich nach Westdeutschland
absetzt, folgen ihm die geschiedene Ehefrau und die beiden Töchter.
In Bremen bekommen die Mädchen ihre, von Tata lang ersehnte,
erste Menstruation, lernen Deutsch von den Mainzelmännchen
und üben sich im Basteln, "eine sehr deutsche Beschäftigung".
Der erste Teil des Romans ist vielleicht nicht wirklich recherchiert,
welcome to Chalupy und den Polenklischees, aber wie intensiv Malin
Schwerdtfeger das Heranwachsen der Mädchen schildert, wie
genau sie beschreibt und mit welchem Tempo die Handlung dahinjagt
- das ist schon klasse.
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