Lasst Sagen sprechen II
Andreas Verstappen
Zu den wirklich alten Hüten zählen
Sagen sowie Mythen; das weiß eigentlich jeder, aber alte
Hüte kehren gut, und deshalb kehren beizeiten alle zu den
alten Sagen und Mythen zurück. So ist es nicht verwunderlich,
wenn jetzt auch die alte Edda für den Leser des 21. Jahrhunderts
wiederaufbereitet wurde. Die Edda basiert auf zwei Folianten,
die 1662 von Island nach Kopenhagen verschifft wurden und alles
versammelten, was an nordischen Sagen und Göttergeschichten
zu jener Zeit aufzutreiben war. Hier tauchen all die alten Kumpanen
wieder auf, die wir sonst nur noch aus Wagner-Opern oder als Namen
von Neonazi-Haudrauf-Combos kennen: Asenkönig Odin/Wotan,
der in seinem Garten nebenerwerbsmäßig kaputte Krieger
repariert (so einen könnte unsere Bundeswehr bald auch wieder
brauchen); der grenzdebile "Donnergott" Thor, der immer
weiß, wo der Hammer hängt, dazu Trolle, Zwerge und
Elfen die Menge. Der norwegische Autor Tor Åge Bringsvaerd möchte
mit seinen Neuerzählungen dazu beitragen, daß "ein
unentbehrlicher Teil der eigenen Geschichte nicht kampflos der
Barbarei überlassen" wird und zeigen, daß die
germanische Götterclique sich kaum von ihren griechisch/römischen
Pendants unterscheidet, daß Sex&Crime die Hauptmotive
hier wie dort sind - nur daß die Nordmänner im Ganzen
etwas rustikaler daherkommen - kurz, daß sich die archaischen
Räuberpistolen für eine Neuverfilmung hollywoodesken
Zuschnittes á la Herr der Ringe geradezu aufdrängen,
vielleicht sogar unter der Obhut eines Terry Gilliam. Frisch ins
Bild gesetzt sind die Wilden Götter ohnehin schon:
Der irgendwie verloren geglaubte Berliner Maler Johannes Grützke,
in den siebziger Jahren Hauptvertreter der überaus erfolgreich
einem satirischen Realismus huldigenden Schule der "neuen
Prächtigkeit", hat 77 Zeichnungen zu diesem sehr unterhaltsamen
Buch beigesteuert.
Übersetzt und herausgegeben wurde es übrigens von Hans
Magnus Enzensberger als, sage und schreibe, schon 200ster Band
seiner "Anderen Bibliothek".
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