Dass sich der Autor eines humoristischen Alpenkrimis mit einem launigen Vorwort an "Liebhaber der Grausamkeit, des Sadismus, der Abgeschmacktheit und der Qual", kurz an seine geschätzte Leserschaft wendet, spricht unbedingt für ihn. Am Abgrund lässt man gern den Vortritt lautet der munter kalauernde Titel des zehnten Romans um den großartigen Kommissar Jennerwein ("Aufklärungsquote hundert Prozent"), und dem Jubiläum entsprechend hat sein Erfinder Jörg Maurer ein zehntes Kapitel an das andere gereiht. Und weil er im besagten Vorwort auch noch Kafka zitiert, beginnen wir die Lektüre frohen Mutes, denn wir lassen uns gerne auf intelligent-spielerische Art unterhalten. Dass wir dennoch manchmal müde werden, wenn Maurers Kriminalprosa gar zu gekonnt und einfallssprühend daherkommt, ist unsere Schuld. Dann bleibt uns nur noch, die Kunstfertigkeit dieses Autors zu bestaunen, dessen Platz ganz oben auf der Bestsellerliste, wo die Luft für gute Genreliteratur ziemlich dünn wird, ein hochverdienter ist.
Provinziell ist auch der Schauplatz von Roland Sprangers Thriller Tiefenscharf, dem ersten Buch im neuen Programm des verdienstvollen Polar-Verlags, doch literarisch liegen Welten zwischen Jörg Maurers Krimikomik und diesem Exkurs in die Finsternis. Und das ist kein Qualitätsurteil, denn Spranger versteht sein Handwerk. Ironie jedoch findet sich hier nur in ihrer bittersten Verabreichungsform. Also muss ein harmloser Flaschensammler dran glauben, als Drogendealer Max verzweifelt nach einem Päckchen Crystal Meth sucht, das er vor einer Polizeikontrolle aus dem Auto geworfen hat. Spranger erzählt betont sachlich ("Es klingelt. Sascha öffnet die Tür. Carsten steht vor der Tür."), nur ab und an verirrt sich eine rhetorische Figur in seine Satzreihen. Dann fährt der Dealer über die Landesgrenze, "wie der vorsichtige Revolvermann langsam durch eine Geisterstadt reitet", während die "riesigen Neon-Tafeln des Travel-Free-Shops aufreizend in den Nachthimmel" leuchten. Doch hell wird es eigentlich nie in dieser Welt der knappen Dialoge und impulsiven Handlungen. Hier zu leben ist wie die "Hundehäufchen-Lotterie", über die der glücklose Videofilmer Sascha beim Weg durch den Park sinniert. Zwar kann man überall "das große Los ziehen", doch "bei Neuschnee tritt man besonders leicht in frische Scheiße".
Auf der Bestsellerliste, das deutet Polar-Verleger Wolfgang Franßen in seinem engagierten Vorwort an, findet man solche Bücher in der Regel nicht. Wer allerdings wissen will, wie sich das Genre abseits vom Mainstream entwickelt, sollte sie lesen. Das große Geld verbirgt sich an den banalsten Orten, doch wer es an sich bringen will, muss professionell handeln und darf keine Zeit verlieren. Also beobachtet Crissa Stone, die ihren Lebensunterhalt damit bestreitet, zwielichtige Figuren um ihr auf dubiose Weise erworbenes Kapital zu erleichtern, bereits "vier Stunden, nachdem sie in Detroit aus dem Flugzeug gestiegen war, einen rostzerfressenen Subaru mit einer halben Million im Kofferraum". Doch das Geld zu stehlen, ist leichter, als es zu behalten. Zunächst muss sich Crissa ihrer gierigen Komplizen erwehren, und dann gilt es, mit der Beute dem vorherigen Eigentümer, der sich nur ungern bestehlen lässt, zu entkommen. Wallace Stroby verwandelt diese vielversprechende Ausgangslage in seinem dritten Roman über die sympathische Berufsverbrecherin auf souveräne Weise in ein aktionsreiches Gangster-Epos, dessen hochökonomischer Erzählstil an die großen Vorbilder des Autors, Donald E. Westlake und Elmore Leonard, erinnert. Anita oder Grace, wie sie sich gerade nennt, ist aus ähnlichem Holz geschnitzt wie Crissa Stone. Die gewerbsmäßige Einbrecherin hat der australische Krimiautor Garry Disher erfunden, der mit dem Profiverbrecher Wyatt bereits einen Helden außerhalb des Gesetzes agieren lässt. In seinem Roman Leiser Tod kommt sie Inspektor Hal Challis in die Quere, der eigentlich mit der Aufklärung eines Sexualverbrechens befasst ist und zudem kaum eine Gelegenheit ausspart, es sich mit seinen Vorgesetzten zu verscherzen. Disher erzählt, dem komplexen Plot des Romans angemessen, episch breiter als Stroby und findet auch Zeit für das Privatleben seiner Figuren, ohne dass die Spannung darunter leiden würde.
Ebenfalls in Australien, genauer gesagt in der Provinzstadt Crimson Lake im Norden des Kontinents, ist eines der ungewöhnlicheren Ermittlerpaare der Kriminalliteratur beheimatet. Candice Fox, berühmt geworden durch ihre Archer & Bennett-Trilogie, deren Figuren ebenfalls nicht durch Normalität auffallen, bringt zwei Außenseiter, den ehemaligen Polizisten Ted Conkaffey, den nur der Mangel an Beweisen vor einer Anklage wegen Vergewaltigung und versuchten Mordes bewahrt hat, und die wegen Mordes verurteilte Amanda Pharrell zusammen und serviert ihnen auch gleich einen Auftrag, der es in sich hat. Ein Fantasy-Schriftsteller ist verschwunden, und seine Frau muss ihn finden, tot oder lebendig, weil sie sonst nicht an sein Geld kommt. Wie es das Genre will, zeigt sich schon bald, dass auch in diesem Fall vieles anders ist, als es scheint. Im Mittelpunkt des Romans stehen allerdings nicht so sehr die Ermittlungen, sondern die Ermittler und ihre persönlichen Katastrophen. Dass die Auflösung zwar schockiert, aber keine wirkliche Überraschung darstellt, ist deshalb wenig verwunderlich. Ein Manko ist das nicht, zumal Wichtiges ungeklärt bleibt. Wir haben es nämlich mit einer Serie zu tun, deren zweiter Band bereits vorliegt und hoffentlich bald übersetzt wird. Weniger spektakulär, dafür psychologisch intensiv gestalten sich die Ermittlungen in Matthias Wittekindts Kriminalroman Die Tankstelle von Courcelles, der zurückführt in die ersten Dienstjahre seines Serienermittlers Ohayon. An eben dieser Tankstelle treffen sich die Jugendlichen des Orts, in dem eigentlich nichts mehr los ist, seit die drei großen Kurkliniken, die für einen gewissen Wohlstand sorgten, in den siebziger Jahren schließen mussten. Eines Abends im Frühjahr 1987, in ein paar Wochen stehen die Abiturprüfungen an, kommt es zu einer Schießerei. Jemand stirbt, und Ohayon ermittelt, befragt die Jugendlichen, erforscht ihr Privatleben. Ein mühevolles Geschäft, das von dem jungen Kriminalisten mit nahezu Maigret'scher Beharrlichkeit betrieben wird. Derweil liefert uns ein virtuos eingesetzter auktorialer Erzähler ein Puzzleteil nach dem anderen, doch diese Teile fügen sich nicht zu einem überschaubaren Gesamtbild, sondern zu einem verstörenden Adoleszenzroman. Das ist große Krimikunst jenseits aller genrenotorischen Mätzchen. |