Der große, viel zu früh verstorbene Filmchronist Joe Hembus (1933-1985) nannte sie die "Verzweiflungsfiguren des Westerns". Aus der Zeit gefallene Männer wie Ethan Edwards, der besessene Indianerkämpfer in John Fords The Searchers (Der schwarze Falke, 1956), oder Howard Kemp in Anthony Manns The Naked Spur (Nackte Gewalt, 1952), dem sein eigenes Verhalten unverständlich wird. Dass die beiden Anti-Helden ausgerechnet von zwei Ikonen des amerikanischen Konservatismus, John Wayne und James Stewart, kongenial verkörpert werden, ist die großartige Ironie dieser beiden Filme, die man gelegentlich im Fernsehen und ab und an im Rahmen von Retrospektiven auch im Kino sehen kann. Von einer Renaissance des Westerns, den der zeitweilige Erfolg von Serien wie Deadwood anzukündigen schien, kann eigentlich kaum die Rede sein. Mehr noch als auf Film und Fernsehen trifft dies auf die Literatur zu. Im Gegensatz zum Kriminalroman ist es dem Western hierzulande nie wirklich gelungen, den Ruch des Trivialen abzuschütteln. Dass renommierte Autoren von Spannungsliteratur wie Elmore Leonard oder Loren D. Estleman auch im Wildwestgenre Außerordentliches geleistet haben, wissen nur wenige Spezialisten. Das könnte sich nun angesichts einiger Neuerscheinungen ändern. Womit wir wieder bei den Verzweiflungsfiguren wären. Für strahlende Helden nämlich ist im literarischen Western selbstredend kein Platz. Sheriff Russell Strawl zum Beispiel, die monströse Hauptfigur in Bruce Holberts Debütroman Einsame Tiere, wirkt wie ein Nachfahre des finsteren Ethan Edwards. In seinen Methoden wenig zimperlich, verhaftete er, so heißt es im Prolog, "138 Indianer, 97 Weiße und eine Frau". Elf Männer tötete er auf der Flucht und drei bei Schusswechseln. Als er in einem Anfall von Wut seine Frau mit einer Bratpfanne erschlägt, drängt er auf ein Gerichtsverfahren, doch sein Vorgesetzter vertuscht die Tat. Nun ist er pensioniert, wird aber reaktiviert, als es zu bizarren Morden im Indianerreservat kommt. Schauplatz der Handlung ist Okanogan County im US-Bundesstaat Washington in den frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Hier lässt Präsident Roosevelt die Grand-Coulee-Talsperre bauen, eines der Projekte im Rahmen des "New Deal", mit denen die Auswirkungen der großen Depression gemildert werden sollten. Zunächst aber kommt es vor allem zu sozialen Verwerfungen in einer Region, die vom so genannten Prozess der Zivilisation bislang weitgehend vernachlässigt wurde.
Strawl geht seinen Auftrag in gewohnt ruppiger Weise an; wer ihm in die Quere kommt, muss um Leib und Leben fürchten. Aber die Morde gehen weiter. Und die moralischen Unterschiede zwischen Jäger und Gejagtem verwischen. "Ich hatte noch nie etwas anderes als Schuld", sagt der alte Sheriff im vorletzten Kapitel des Romans zu seinem Auftraggeber. Zu diesem Zeitpunkt ist die Identität des Serienmörders bekannt, doch darum geht es schon nicht mehr. Aufklärung im Sinne traditioneller Kriminalromane findet in Holberts eindrucksvollem Genre-Mix nicht statt. "Die Taten sind bemerkenswert schnell aus dem Gedächtnis in die Erzählungen gewandert, aus vielen Gerüchten wurde Vergessen, doch das ist in den Zeiten, in denen wir leben, nun mal das Schicksal von Geschichten. Nur wenige überdauern", wird im Epilog resümiert. Wäre da nicht die Literatur, möchte man ergänzen. Bruce Holbert ist ein Erzähler, der sich den Handlungen der Menschen mit ergreifender Nüchternheit widmet und Naturschauspiele auf beinahe poetische Weise schildert. Am Ende leuchtet der Mond "blutrot", während die Tiere aus dem brennenden Wald in die Siedlungen fliehen. Was danach kommt, nennen manche den amerikanischen Traum.
Und zu dem gehört der Selfmademan. Zebulon hätte so jemand sein können. Bereits als Vierzehnjähriger beginnt er seine Pferdezucht und erweist sich rasch als Naturtalent. Doch er hat die Rechnung ohne seinen Vater gemacht, einen Mann vom Schlage eines Russell Strawl, diesem allerdings an Bösartigkeit noch überlegen. Früher war er Kopfgeldjäger, nun ist er Sheriff. Er nimmt seinem Sohn die Ranch ab. Doch das erfährt der Leser in Céline Minards Roman Mit heiler Haut erst gegen Ende, als es zu einem seltsamen Showdown zwischen Vater und Sohn kommt. Die französische Autorin widmet sich mit Leidenschaft populären Literaturgenres. Doch was zur postmodernen Spielerei werden könnte, erscheint in diesem Fall beinahe wie eine Wiederbelebung. Sprachlich gewitzt erzählt Minard von der Zähmung des Wilden Westens. Aus einer Siedlung wird eine Stadt, und kaufmännisches Talent schlägt die Fähigkeit, geschickt mit einer Waffe umgehen zu können. Symbolisiert wird dieser Prozess durch die Errichtung eines Badehauses, dessen Beliebtheit auf Anhieb die des örtlichen Bordells übertrifft. Und der unfreiwillig zum Gesetzlosen gewordene Zebulon vertreibt mit seinem tyrannischen Vater auch die alten bösen Geister des Westens.
So endet Céline Minards Ausflug ins gewöhnlich männerdominierte Genre ausgesprochen zivilisiert. Liebende finden zueinander, eine Doppelbadewanne wird geliefert, und die Eröffnung des besten Restaurants im Wilden Westen steht bevor. Die Autorin ist eben Französin.
Dass es so friedlich nicht blieb, wissen wir. Davon erzählt der 1936 in Texas geborene, in Louisiana aufgewachsene und heute in Montana lebende Autor James Lee Burke seit Jahrzehnten. Bei uns wurde er in den 1990er Jahren durch seine in Louisiana spielenden Romane um den alkoholkranken Ermittler Dave Robicheaux bekannt. Sonderlich erfolgreich war er allerdings nicht, was er dem hiesigen Lesepublikum noch immer nachzutragen scheint, wie man einem Interview aus dem Jahr 2012 entnehmen kann: "In Deutschland laufen meine Romane überhaupt nicht, warum, weiß ich nicht. Ich zahle es ihnen heim, indem ich keine deutschen Brezeln esse." Tatsächlich liegen die letzten Übersetzungen von Romanen James Lee Burkes mehr als zehn Jahre zurück. Doch das soll sich nun ändern. Just hat der Heyne-Verlag Regengötter herausgebracht, einen Roman, der auf dem Umschlag ein "Thriller" genannt wird, aber ebenso gut als Western durchgehen könnte. Schließlich ist sein Held, Hackberry Holland, ein waschechter Sheriff.
Holland hat eine bewegte Biografie. Er hat ein nordkoreanisches Kriegsgefangenenlager überlebt und eine vielversprechende Karriere als Politiker in den Sand gesetzt, um sich dann als Anwalt für die Belange mexikanischer Wanderarbeiter zu engagieren. (Burke erzählt von diesen frühen Jahren in seinem bislang unübersetzten Roman Lay Down My Sword and Shield von 1971.) Später besitzt er eine Ranch, doch nachdem seine Söhne erwachsen geworden sind und seine Frau gestorben ist, verkauft er alles und nimmt einen Job als Sheriff in einem Nest irgendwo in Texas an. Keine gewöhnliche Sache für einen Herrn im Rentenalter, dessen Glieder nicht nur aufgrund einer alten Schussverletzung schmerzen, doch für Hackberry Holland die einzige Möglichkeit, mit dem Verlust seiner Frau umzugehen. Eigentlich führt er ein ruhiges Leben, doch damit ist es vorbei, als hinter einer Kirche nahe der mexikanischen Grenze die Leichen von neun thailändischen Mädchen gefunden werden. Schon bald hat Holland es mit organisierten Gangstern aus New Orleans zu tun, zu deren Geschäftsfeldern auch die illegale Prostitution gehört. Doch selbst diese Typen sind nicht so gefährlich wie der "Preacher" Jack Collins, ein redegewandter Psychopath und professioneller Killer. Hackberry Holland versucht, das Richtige zu tun, doch das ist, wie er in seinem langen Leben gelernt hat, ziemlich schwierig. Auch James Lee Burke weiß darum. Sein Roman lässt sich deshalb nicht auf die Verfolgung eines irren Serienmörders reduzieren. Regengötter ist auch ein Buch darüber, wie der Krieg, ob vor langer Zeit in Korea oder erst vor wenigen Jahren im Irak, die amerikanische Gesellschaft beschädigt. Dass Hackberry Holland dennoch ein aufrechter Kerl bleiben darf, verdankt er dem Glauben seines Erfinders an die "unbezwingbare Natur der menschlichen Seele". Es gibt also noch Hoffnung. |