Am Erker 67

David Peace: 'GB84' (2014)

Nathan Larson: '2/14' (2014)

Oliver Bottini: 'Ein paar Tage Licht' (2014)

Sophie Sumburane: 'Gefährlicher Frühling' (2014)

Anne Kuhlmeyer: 'Es gibt keine Toten' (2014)

Michael Herzig: 'Frauen hassen' (2014)

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Mord & Totschlag 67
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

GB84, ein mit neun Jahren Verspätung ins Deutsche übersetzter Roman des englischen Schriftstellers David Peace,  handelt von Betrug und Verrat, von Raub, Mord und Erpressung. Unter seinen Protagonisten finden sich Überzeugungstäter ebenso wie bezahlte Agenten. Mit gutem Recht könnte man das über 500 Seiten starke Buch als Politthriller bezeichnen. GB84 ist aber auch und vor allem ein Zeitgeschichtsroman, in dem mit epischen Mitteln ein historischer Prozess rekonstruiert wird. David Peace findet sein narratives Instrumentarium in der klassischen Moderne. Wer sich auf seine äußerlich als Chronik arrangierte Geschichte des letzten großen Bergarbeiterstreiks in Großbritannien einlässt, erkennt Erzählstrategien, mit denen Romanautoren in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts dem linearen realistischen Erzählen zu Leibe rückten. Parallelmontagen, funktionale Figurenbeschreibungen und der Verzicht auf eine sichtbare Erzählinstanz erschweren bewusst Orientierung und Identifikation und machen die Lektüre zu einer sperrigen Angelegenheit. Das ist ästhetisch wie politisch konsequent. Als die einst so schlagkräftige Bergarbeitergewerkschaft unter ihrem charismatischen Vorsitzenden Arthur Scargill vor der konservativen Regierung Margaret Thatchers kapitulierte, endete ein Arbeitskampf, der das Land zeitweise an den Rand des Ausnahmezustands gebracht hatte. Die britische Gesellschaft war eine andere geworden. David Peaces beharrliche Weigerung, diese historische Zäsur in leicht konsumierbare Prosa zu überführen, verdient Respekt.

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Ästhetisch interessanter allerdings, als die traditionellen Strukturen eines spannungsliterarischen Genres außer Kraft zu setzen, erscheint es mir, mit ihnen zu experimentieren. Der Musiker und Schriftsteller Nathan Larson bedient sich in seinem Debüt 2/14 klassischer Handlungsmuster des taffen Detektivromans amerikanischer Prägung, um eine dystopische Zukunftsvision effektvoll zu inszenieren.
Ausgerechnet an einem Valentinstag haben terroristische Anschläge New York beinahe völlig zerstört, von einstmals 8 Millionen Einwohnern lebt nur noch ein Zehntel.  In Folge einer gleichzeitigen globalen Wirtschaftskrise sind alle Leitwährungen der westlichen Welt abgestürzt. Recht und Gesetz sind Schlagworte aus einer vergangenen Zeit. Das U-Bahnsystem allerdings funktioniert noch halbwegs, irgendein Computer, so meint Dewey Decimal, der Held des Romans, sorgt dafür, dass die Züge fahren. Dewey Decimal ist natürlich nicht der richtige Name dieses ehemaligen Soldaten "gemischter Herkunft", der in der städtischen Bibliothek die Zeugnisse einer untergegangenen Kultur ordnet. Aber wie er einst hieß, als er vielleicht auch "Ehemann und Vater" war, weiß er nicht mehr. Er ist sich auch nicht sicher, ob die Erinnerungsfetzen, die ihm gelegentlich in den Sinn kommen, nicht das Produkt einer Gehirnwäsche sind. Besonders zu berühren scheint ihn dieser Umstand allerdings nicht.
Ab und an erledigt Dewey Decimal Aufträge für den Bezirksstaatsanwalt. Diesmal geht es darum, einen Mitbürger, welcher der Behörde unangenehm werden könnte, einzuschüchtern. Oder was auch immer man unter dem Verb "ruhigstellen", das Decimal benutzt, verstehen möchte. Doch so einfach ist das nicht. Die Zielperson spielt eine größere Rolle im organisierten Verbrechen, das sich gut in der Apokalypse eingerichtet zu haben scheint. Schon bald muss Decimal sich seiner Haut wehren, und er tut dies mit der Effizienz eines professionellen Killers. Nathan Larson spielt nämlich mit mehr als einem Populärgenre.
2/14 ist aber nicht nur ein intelligent konstruierter, anspielungsreicher Spannungsroman, sondern auch ein Buch über den Einfluss des Vergangenen auf die Gegenwart. Was Dewey Decimal, der Ermittler mit dem manipulierten Gedächtnis, herausfindet, weist zurück in die Zeit der jugoslawischen Sezessionskriege in den frühen neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, doch zu einem befriedigenden Ende führen seine Nachforschungen nicht. Das dürfte auch kaum im Sinne des Autors sein, der 2/14 als Auftakt zu einer Trilogie konzipiert hat. Anzunehmen ist allerdings, dass das Bedürfnis nach Aufklärung  in den zwei Folgebänden ebenfalls auf intellektuell stimulierende Weise enttäuscht werden wird.

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Wer nun aber glaubt, Spannungsliteratur habe als Medium politischer Aufklärung ausgedient, irrt gewaltig. Oliver Bottini zeigt in seinem neuen Buch Ein paar Tage Licht, wie ein brisantes, von unseren Medien gerne ignoriertes Thema zum Gegenstand eines hochspannenden Romans werden kann. Während sich in Berlin die Lobbyisten der Rüstungsindustrie um Ausfuhrgenehmigungen bemühen, wird in Algerien der Manager einer baden-württembergischen Waffenfabrik entführt. Angeblich stecken islamistische Terroristen dahinter, doch Ralf Eley, BKA-Mann in Algier, hat Zweifel. Und seine Nachforschungen geben ihm Recht. Das Kidnapping ist Teil eines Verschwörungsplans, dessen Auswirkungen auch in Deutschland zu spüren sein werden.
In diesem Roman geht es nicht um Propaganda. Oliver Bottini weiß zwar, wo die Schurken sitzen, doch er macht es seinen Lesern schwer, das Buch nach der Lektüre im Bewusstsein moralischer Gewissheit zuzuklappen. Ein Land wie Algerien, dessen Geschichte seit dem blutigen Befreiungskampf gegen die französische Kolonialmacht alles andere als friedlich verlaufen ist, lässt die Unterscheidung von Gut und Böse nur bedingt zu. Folgerichtig mutet Bottini seinen komplex gestalteten Figuren eine vielschichtige Handlung zu, die den Romanen internationaler Großmeister des Genres in nichts nachsteht. Ein paar Tage Licht ist engagierte Literatur par excellence.

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Um Rüstungsgeschäfte mit despotischen Machthabern geht es ebenfalls in Sophie Sumburanes Roman Gefährlicher Frühling. Handelspartner deutscher Firmen ist in diesem Fall das ägyptische Mubarak-Regime, dessen Untergang im so genannten arabischen Frühling leider nicht zu den erhofften demokratischen Verhältnissen führte. In Leipzig wird die Inhaberin eines Ingenieurbüros ermordet, das, wie bald herauskommt, in illegale Waffenexporte verwickelt ist. Dementsprechend schwierig gestalten sich die Ermittlungen, zumal sich die Identität des Hauptverdächtigen nicht zweifelsfrei zu enthüllen lassen scheint. Auch in diesem Kriminalroman spielt die Aufklärung des Verbrechens eine weniger große Rolle als die Aufklärung über furchtbare Zustände. Auf einer zweiten, im Ägypten des Jahres 2011 angesiedelten Erzählebene erfahren wir, wie ein  normaler junger Mann mit der Hoffnung auf ein besseres Leben zu einem brutalen Folterknecht wird. Dessen erschütterndes Psychogramm ist der emotionale Mittelpunkt dieses lesenswerten Buches.

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Auf nachhaltige moralische Verunsicherung hat es Anne Kuhlmeyer abgesehen. Ihr neuer Krimi Es gibt keine Toten beginnt mit Mordermittlungen im münsterländischen Coesfeld und endet mit einer Straßenschlacht zwischen Neo-Nazis, antifaschistischen Demonstranten und Polizisten in Leipzig. Kriminalkommissarin Marlene Katz, die sich in einer ausgewachsenen Lebenskrise befindet, gerät durch Zufall an den Chef einer Sicherheitsfirma, der den rechtsradikalen Umtrieben in Sachsen mit seinen eigenen Methoden begegnet. "Unorthodox" wäre ein zu harmloses Attribut - Parallelen zu einigen der in GB84 geschilderten Geheimdienstpraktiken lassen sich erkennen. Aber es geht hier ja nicht gegen streikende Arbeiter, sondern gegen Nazis ... Anne Kuhlmeyer entlässt uns nicht aus diesem Dilemma, und eben das macht, neben all den Qualitäten, die das Genre mit sich bringt, diesen Roman zur spannenden Lektüre.

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Die letzte Empfehlung dieser Kolumne gilt einem Autor, der sich mit jedem neuen Roman zu steigern scheint. Der Schweizer Michael Herzig schreibt über den Polizeialltag. Er schildert zermürbende Kleinarbeit, frustrierende Ermittlungen und interne Querelen. Seine Heldin heißt Johanna di Napoli. Wer Herzigs Romane seit seinem Debüt Saubere Wäsche vor nunmehr sieben Jahren verfolgt hat, mag sich wundern, dass die Zürcher Stadtpolizistin noch immer im Dienst ist. Beziehungsweise, dass sie überhaupt noch lebt. Johanna di Napoli trinkt zu viel, legt sich mit Vorgesetzten an und riskiert Kopf und Kragen, wenn es um ihre Fälle geht. Das hat im Unterschied zum Realismus des Ambientes natürlich wenig mit normaler Polizeiarbeit zu tun. Man kann sich auch schlecht vorstellen, dass eine Schweizer Kriminalbeamtin tatsächlich undercover zu Ermittlungen im Rockermilieu nach Berlin geschickt wird. Aber wir befinden uns ja in einem Kriminalroman. Sogar in einem sehr guten. Michael Herzigs Sprache ist witzig, gelegentlich schnoddrig, immer treffsicher. Lange Sätze sind seine Sache nicht. Das sorgt für ein rasantes Tempo. Und der gut ausgedachte Plot tut sein Übriges. Ginge es im Buchgeschäft mit rechten Dingen zu, müsste Frauen hassen die Verkaufszahlen der nacherzählten Stadtpläne und Wanderkarten, die sich als Krimi ausgeben, bei weitem übertreffen.

 

Oliver Bottini: Ein paar Tage Licht. Kriminalroman. 512 Seiten. Dumont. Köln 2014. € 19,99.

Michael Herzig: Frauen hassen. Thriller. 344 Seiten. Grafit. Dortmund 2014. € 19,90.

Anne Kuhlmeyer: Es gibt keine Toten. Kriminalroman. 301 Seiten. KBV. Hillesheim 2014. € 9,50.

Nathaniel Larson: 2/14. Ein Dewey-Decimal-Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Stumpf. 255 Seiten. Diaphanes. Zürich / Berlin 2014. € 17,95.

David Peace: GB84. Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. 537 Seiten. Liebeskind. München 2014. € 24,80.

Sophie Sumburane: Gefährlicher Frühling. Kriminalroman. 280 Seiten. Pendragon. Bielefeld 2014. € 12,99.